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Rede

Saadet Sönmez - Die Flüchtlingsunterbringung durch die Landesregierung bleibt skandalös

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 45. Plenarsitzung am 24. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Änderung des Landesaufnahmegesetzes. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Vor dem Landtag demonstrieren gerade Menschen, die wollen, dass Hessen endlich etwas für die Menschen in den Flüchtlingslagern an den Außengrenzen Europas tut und dass Hessen endlich das versprochene Landesaufnahmeprogramm umsetzt und Worten auch Taten folgen lässt. Wir LINKE stehen voll und ganz hinter diesen Forderungen; das ist bekannt. Wir haben bereits im letzten Jahr einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Aber da wir morgen noch einmal ausführlich über das Landesaufnahmeprogramm diskutieren werden, werde ich mich im Folgenden auf das Landesaufnahmegesetz beschränken.

Nun zu dem hoch bejubelten Landesaufnahmegesetz. Die letzte Änderung des Landesaufnahmegesetzes hatte zur Folge, dass Flüchtlinge horrende Summen für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zahlen mussten. Flüchtlinge, die nach ihrer Anerkennung eigentlich berechtigt wären, in eine eigene Wohnung zu ziehen, haben oftmals keine gefunden und mussten eben in den Gemeinschaftsunterkünften wohnen bleiben. Es war nicht so, dass sie dort nicht ausziehen wollten, sondern sie mussten dort bleiben, weil sie keine Wohnung gefunden haben.

Die Kommunen wurden dann auch noch berechtigt, per Satzung festzulegen, dass die Betroffenen die Kosten für die Unterbringung selbst zahlen müssen. Es ist natürlich völlig in Ordnung, wenn Flüchtlinge, die ihren Lebensunterhalt vollständig selbst bestreiten, für ihre Unterbringung auch selbst aufkommen. Allerdings müssen diese Kosten verhältnismäßig sein. Das war es aber in den meisten Fällen bzw. in allen Fällen nicht. Da liegt das Problem, und da muss Abhilfe geschaffen werden.

So hat beispielsweise ein junger Afghane – und das ist kein Einzelfall – in Kriftel 381 € für eine Unterkunft in einem 20 m2 großen Wohnwagen zahlen müssen, den er sich auch noch mit einem anderen Flüchtling teilen musste. Herr Burcu, solche Fälle sind keine Einzelfälle, wie Sie es vorhin dargestellt haben. In Offenbach wurde uns übrigens auch nicht gesagt, dass das in vereinzelten Fällen vorkommt. Ich meine, „vereinzelt vorkommt“ heißt so viel wie „Einzelfälle“. Natürlich können wir uns jetzt darüber streiten und Wortspielchen machen. Es ist eben nicht so, dass es in vereinzelten Fällen vorkommt, sondern es ist gang und gäbe; Quadratmeterpreise bis zu 40 € sind keine Seltenheit.

Das kann nicht sein. Die Betroffenen können nichts für die schlechten Verträge, die die Gemeinden abgeschlossen haben, müssen aber darunter leiden, weil die Kosten auf sie abgewälzt werden. Diese Praxis ist unhaltbar, aber Sie wollen weiterhin an ihr festhalten, wie es aussieht.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben nicht nur dieses Gespräch in Offenbach geführt, sondern wir alle haben diesbezüglich auch viele Briefe und Schreiben erhalten, in denen diese Fälle von Ungerechtigkeit dargestellt worden sind: dass Menschen, obwohl sie Vollzeitarbeitsverhältnisse haben, wegen dieser hohen Gebühren am Monatsende kaum noch Geld hatten. Das wurde uns nicht nur in Offenbach mitgeteilt, sondern es haben uns viele Briefe und E-Mails erreicht, die diese Situation schildern.

Diese Praxis ist für die Integration dieser Menschen mitnichten förderlich, weder für die Integration in die Gesellschaft, wie Sie es hier behaupten, noch für die Integration in die Arbeitswelt. Im Gegenteil, diese Praxis ist integrationsfeindlich.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt müsste man eigentlich meinen, die Landesregierung habe das verstanden. Aber nein, das hat sie typischerweise nicht. Durch den hier bejubelten Gesetzentwurf, den sie vorgelegt hat, wird die Situation für die Betroffenen nicht verbessert, sondern eigentlich sogar verschlechtert. Sie schreiben zwar in Ihrem Gesetzentwurf, dass die Gebietskörperschaften nun in ihren Satzungen zu regeln haben, unter welchen Voraussetzungen es Gebührenermäßigungen für Härtefälle gibt. Allerdings definieren Sie keine einheitliche Regelung. Sie legen nicht fest, für wen es gelten soll; Sie legen nicht fest, ob das von der Unterkunft abhängig gemacht werden soll, usw. Meine Damen und Herren, auf diese Weise ändern Sie an dieser Situation nichts, und das wissen Sie ganz genau.

Man könnte diese unfairen Handhabungen mit den hohen Gebühren eigentlich verhindern. Sie könnten es beispielsweise so regeln, dass Selbstzahlerinnen und Selbstzahler landesweit maximal die nach der Verteilungs- und Unterbringungsgebührenverordnung geltenden Pauschalen zahlen müssen. Das machen Sie aber nicht. Nach dieser Unterbringungsgebührenverordnung würde die Gebühr für Einzelpersonen 194 € und für Zweipersonenhaushalte 255 € betragen; das würde sich mit gestaffelten Beträgen so fortsetzen. Das ist angesichts der Qualität der Unterkünfte eigentlich immer noch zu viel, aber es wäre zumindest ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall DIE LINKE)

Viel wichtiger wäre es natürlich, dass Sie ein bisschen mehr Kraft aufbrächten, um dafür zu sorgen, dass die Menschen endlich aus den Unterkünften ausziehen können. Ich habe bereits gesagt, sie wohnen nicht freiwillig in diesen Gemeinschaftsunterkünften. Dass die Betroffenen überhaupt in dieser Situation sind, liegt am Versagen der Landesregierung und an Ihrer Wohnungspolitik. Es gibt immer weniger Sozialwohnungen, und Flüchtlinge sind darüber hinaus vor bürokratische Hürden gestellt und nicht selten bei der Wohnungssuche Vorurteilen und Rassismus ausgesetzt. Sorgen Sie also für bezahlbaren Wohnraum. Dann könnte auch die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt zumindest etwas eingedämmt werden.

Aber ich habe bereits gesagt, Ihr Entwurf für ein Änderungsgesetz ist nicht nur nicht besser, sondern er ist sogar schlechter. Ein Beispiel ist die hoch bejubelte Neuregelung zur Beendigung des Nutzungsverhältnisses. Nach Ihrer Neuregelung kann fristlos aus einer Gemeinschaftsunterkunft rausgeworfen werden, wer beispielsweise mehrmals gegen die Hausordnung verstößt, etwa wenn er nach 22 Uhr laut ist. Auch andere Gründe können zum Rauswurf führen. Sie nennen diese aber nicht abschließend. Das ist unbestimmt und führt zur Willkür. Wer also etwa bei der Leitung der Unterkunft in Ungnade fällt, hat Pech gehabt. Meine Damen und Herren, das geht auch nicht. Das ist keine gute Praxis für diese Menschen.

(Beifall DIE LINKE)

Es könnte bei Konflikten zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern und Angestellten in Gemeinschaftsunterkünften externe Ansprechpartner geben, z. B. Mediatorinnen und Mediatoren oder unabhängige Beschwerdestellen. Das würde übrigens auch die Arbeit der Angestellten erleichtern und denen zugutekommen. So etwas regelt Ihr Gesetzentwurf aber auch nicht.

Empörend ist eben nicht nur, was der Gesetzentwurf regelt, sondern auch das, was er nicht regelt; denn auch in diesem Gesetzentwurf sind keine Mindeststandards für die Unterbringung und keine Gewaltschutzstandards vorgesehen. Seit Jahren werden Sie aber in Stellungnahmen und Anhörungen darauf hingewiesen, dass es wichtig wäre, wenn auch Hessen solche Standards festlegen würde.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Das wird aber weiterhin konsequent ignoriert. Dann passieren eben solche Sachen wie in Frankfurt-Bonames: dass Flüchtlinge in von Schimmel befallenen Gebäuden leben. Die Landesregierung kann sich hier nicht wegducken. Sie tragen schließlich Verantwortung für diese Menschen.

Sie sehen also, es gibt noch viel Entwicklungspotenzial in Ihrem Gesetzentwurf. Ich denke, das werden Ihnen die Ehrenamtler in den Anhörungen auch noch einmal sagen. Vielleicht nehmen Sie sie jetzt ausnahmsweise einmal ernst und leisten dem Folge, was sie Ihnen empfehlen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)