Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Hessen soll Menschen aus Moria mit einem Landesaufnahmeprogramm aufnehmen

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag hin über die Situation der Geflüchteten in Moria. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Auf die Rede vorhin gehe ich jetzt überhaupt nicht ein. Ich glaube, da sind wir uns einig: Auf den Unsinn müssen wir nicht eingehen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, als Anfang letzten Monats die Bilder vom brennenden Flüchtlingslager in Moria um die Welt gingen, war die Bestürzung groß. Doch ehe man es sich versah, hatten Menschen in politischer Verantwortung jegliche Hilfe schon wieder ausgeschlagen, so leider auch in Hessen. Ministerpräsident Bouffier hat nur einen Tag nach dem Brand ein bundeseinheitliches Vorgehen angemahnt. Die Bundesregierung pocht weiter auf eine gesamteuropäische Lösung, und während Länder, Bund und die Mitgliedstaaten der EU sich weiterhin weigern, Verantwortung zu übernehmen, sitzen auf Lesbos 13.000 Menschen auf der Straße.

Meine Damen und Herren, jetzt heißt es oft, die EU hätte versagt, was Moria angeht. Ich glaube, es ist genau andersherum. Das Flüchtlingslager Moria ist der Erfolg der Europäischen Union. Denn wenn man sich die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union der letzten Jahre betrachtet, muss man leider davon ausgehen, dass die EU genau das wollte.

(Beifall DIE LINKE)

Allein die bekannten Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der Europäischen Union aus diesem Jahr verdeutlichen doch, dass es letztendlich nur noch um Abwehr um jeden Preis geht, ohne Rücksicht auf Verluste. Es kommt zu Schüssen auf Migranten an der griechisch-türkischen Grenze. Es kommt zu gewalttätigen Push-backs auf der Balkanroute. Menschen werden auf dem offenen Meer ausgesetzt. Frau von der Leyen preist Griechenland als Schild der Europäischen Union an und fordert, die Stellung weiterhin zu halten.

Was ist das denn anderes, als zur Flucht gezwungenen Menschen zu verdeutlichen, ihnen das klare Signal zu senden, dass sie unerwünscht sind und nicht kommen sollen? Das alles geschieht, obwohl wir durch Freihandelsabkommen ihr Elend erzeugen, obwohl unsere Rüstungsexporte weiterhin Tod und Schrecken über sie bringen und obwohl ihre Lebensgrundlagen weiterhin durch von deutschem Boden aus gesteuerte Drohnen vernichtet werden. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen.

(Beifall DIE LINKE)

Letzte Woche hat die Kommission der Europäischen Union ihren Vorschlag für ein neues gemeinsames Asylsystem vorgestellt. Wenn man die komplette Entrechtung der Geflüchteten und das faktische Ende des individuellen Asylrechts anstrebt, sind diese Vorschläge genau richtig. Wir sagen, das darf auf gar keinen Fall zugelassen werden. Das ist menschenverachtend.

(Beifall DIE LINKE)

Seit Jahren machen Ärzteteams und NGOs auf die dramatischen Zustände auf den griechischen Inseln aufmerksam. Kommunen und Städte haben ihre Bereitschaft erklärt, Menschen aus Seenot und aus den schrecklichen Lagern aufzunehmen.

Auch in Hessen hat ein Zusammenschluss von 143 Personen unter dem Motto „Wir haben Platz“ an die Landesregierung appelliert, Menschen aufzunehmen. Doch die Landesregierung ignoriert weiterhin all diese Appelle beständig. Da heißt es immer wieder, man könne nichts tun, man bräuchte das Einverständnis des Bundesinnenministers, und das bekäme man leider nicht.

Als die Bundesländer Berlin und Thüringen eine Bundesratsinitiative starteten, um Landesaufnahmeprogramme ohne die Zustimmung des Bundesinnenministeriums zu ermöglichen, hat Hessen nicht zugestimmt. Man höre und staune: Da wird doch deutlich, Ihre Mitleidsbekundungen sind nur genau das. Es sind nur Bekundungen.

(Beifall DIE LINKE)

Sie sind nur Schall und Rauch, wenn es darum geht, wirklich zu helfen. Das wurde hier schon angepriesen: Hessens Europaministerin, Frau Puttrich, hat es noch einmal deutlich gemacht: Die Landesregierung will offenbar niemanden aufnehmen. Stattdessen beteiligt man sich lieber an der Hetze gegen die Flüchtlinge. Nur einen Tag, nachdem der Brand ausgebrochen war, zu unterstellen, die Flüchtlinge hätten ihn selbst gelegt, ist unverantwortlich. Das ist unverantwortlich. Das geht nicht. Das kann man so nicht machen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Die Verantwortlichen für rassistische Gewalttaten hierzulande ausfindig zu machen, das dauert Jahre. Aber die Brandstifter einer Unterkunft, über mehrere Landesgrenzen entfernt, kennt man schon am nächsten Tag. Das ist schon „hervorragend“.

Herr Präsident, ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Jetzt sollen die Flüchtlinge auch noch in Sippenhaft genommen werden. Es dürfe keiner aufgenommen werden, weil man die Gewaltausbrüche belohnen würde. Auch wenn Frau Puttrich das in der Sitzung des Europaausschusses etwas revidiert haben soll, ist das nicht weiter relevant. Denn der Nächste hat gerade weitergemacht. Der Bundestagsabgeordnete Irmer der CDU verkündete, man dürfe niemanden aus dem Flüchtlingslager Moria aufnehmen, man dürfe die Brandstifter nicht belohnen.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen den letzten Satz ein bisschen modifizieren.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Herr Präsident, das sind meine letzten Sätze. – Die Schuldigen für die Hölle sind nicht die Migranten. Das muss man immer wieder verdeutlichen. Die Schuldigen sitzen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Denn sie haben diese Hölle geschaffen. Ich finde, da gibt es überhaupt nichts zu lachen.

(Beifall DIE LINKE)