Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

NSA in Hessen: "Antwort der Landesregierung stammt aus einem weit entfernten Parallel-Universum"

Hermann Schaus

Zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE betreffend "Geheimdienstskandale, Massenüberwachung, sowie Grund- und Völkerrechtsverletzung in Hessen"

Rede zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE betreffend "Geheimdienstskandale, Massenüberwachung, sowie Grund- und Völkerrechtsverletzung in Hessen"

 

Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

DIE LINKE hat im Mai vergangenen Jahres die vorliegende Große Anfrage betreffend Geheimdienstskandale, Massenüberwachung sowie Grund- und Völkerrechtsverletzungen in Hessen gestellt. Wir wollten schon damals, auf dem Höhepunkt der bundesweiten Debatte über die unglaublichen Enthüllungen von Edward Snowden, von der Landesregierung wissen, ob und wie sie die zahlreichen ungeheuerlichen Vorwürfe einschätzt. Diese Vorwürfe betreffen in besonderem Maße auch Hessen. Denn im Frankfurter US-Konsulat sitzt diejenige CIA-Einheit, die unter anderem das Handy von Angela Merkel abgehört hat. In Frankfurt ist der weltweit größte Internetknotenpunkt, der systematisch und massenhaft angezapft wurde. In Wiesbaden und Darmstadt sind große US-Stützpunkte, wobei das Dagger-Gelände in Darmstadt der größte Geheimdienstkomplex außerhalb der USA ist.

Alle Fraktionen haben sich bisher für Aufklärung und gegen Massenüberwachung ausgesprochen. Von der Notwendigkeit einer internationalen Vereinbarung war die Rede. "Ausspähen unter Freunden geht gar nicht", sagte die Kanzlerin, usw.

Ich sage es vorneweg: Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage stammt offenbar aus einem weit entfernten Paralleluniversum – einem Paralleluniversum, in dem es die Veröffentlichungen zum NSA-Skandal und die Erkenntnisse des NSA-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag schlichtweg nicht gibt. Ein Zitat der Landesregierung, Seite 7 der Großen Anfrage: "Es ergaben sich zu keinem Zeitpunkt ... Anhaltspunkte auf die in den Medien behaupteten Aktivitäten der ... (NSA) in ... Deutschland." Ich wiederhole es, weil es so schlicht wie schlimm ist: zu keinem Zeitpunkt, keine Anhaltspunkte auf Aktivitäten der NSA in Deutschland. – Bei solchen Antworten nach dem Motto "Ich weiß, dass ich nichts weiß, aber ich weiß ganz genau, dass ich gar nichts wissen will" kann man nur noch Zynismus unterstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

In der bizarren Traumwelt, in der sich die Landesregierung demnach bewegt, gibt es auch keine Steuerung von US-Kampfdrohnen von Deutschland aus. Ein Zitat aus der Antwort der Landesregierung – Drucks. 19/1614, Seite 6 –: Die US-Streitkräfte haben gegenüber der Bundesregierung mehrfach versichert, dass von amerikanischen Einrichtungen in Deutschland bewaffnete Drohneneinsätze weder geflogen noch befehligt werden...

Klar, wenn die US-Streitkräfte das sagen, dann muss es auch so sein. Nur: Warum sagen US-Drohnenpiloten öffentlich genau das Gegenteil? Warum belegen öffentliche Dokumente das Gegenteil? Warum fordern die Bundes-GRÜNEN lautstark genau hierüber Aufklärung und bezeichnen dies als "Bruch deutschen Rechts und des internationalen Völkerrechts" – obwohl es das angeblich doch gar nicht gibt, meine Damen und Herren?

In der Welt der Landesregierung gibt es aber auch keine Folter und keine Entführung durch US-Streitkräfte. Dazu weitere Zitate von den Seiten 5, 6 und 12 der Antwort. Dieses Zitat ist gleich dreimal in der Antwort auf die Großen Anfrage zu finden: Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
hat sich über ihre Botschaft in Berlin in einer Stellungnahme vom 15. November 2013 von Folter und Entführungen distanziert. ... Zu hypothetischen Fragestellungen gibt die Landesregierung keine Einschätzungen ab. Klar, das hat der US-Botschafter 2013 in Berlin gesagt, und deshalb gibt es das auch nicht.

Die Menschen sind offenbar selbst nach Guantanamo gereist, um freiwillig Waterboarding kennenzulernen. Es gibt auch keine Folterbilder aus dem Irak und keinen Folterbericht des US-Kongresses, dessen öffentlicher Teil 600 Seiten umfasst – ich habe ihn mitgebracht –, in dem bestialische Dinge zu lesen sind. Dieser Bericht hat weltweit Beachtung gefunden, nicht nur als Zeugnis eines wenigstens um Aufklärung des Schlimmsten bemühten US-Parlaments gegenüber den eigenen Geheimdiensten und Militärs, sondern er hat auch deshalb Aufmerksamkeit erregt, weil auch europäische Staaten und ihre Regierungen involviert waren. In der schönen neuen Welt der Landesregierung ist das, was der US-Kongress da aufgeschrieben hat, aber wohl antiamerikanische Propaganda; denn der US-Botschafter hat in Berlin im Jahr 2013 ja gesagt, dass es das gar nicht gibt.

In Frankfurt findet das Anzapfen des weltweit größten Datenknotenpunktes DE-CIX statt. Dort laufen pro Sekunde 3 Terabyte an E-Mail-Daten und Telefongesprächen durch. Der Betreiber, DE-CIX, verklagt jetzt zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichtes den Auslandsgeheimdienst BND, weil der BND zumindest in den Jahren 2004 bis 2008 massenhaft Daten abgegriffen und freundlichst an die NSA weitergeleitet hat. Heribert Prantl, der den Vorgang im Oktober 2014 kommentierte, sprach in der "Süddeutschen Zeitung" vom "Totalverlust eines Grundrechtes" und schlussfolgerte, "rechtsstaatliche
Kontrolle existiert nicht". Wie wahr.

Ein BND-Mitarbeiter hat im Bundestag dazu gesagt, die durch den Knotenpunkt in Frankfurt fließenden Daten seien "zum Abschuss freigegeben". Für die Landesregierung ist das aber kein Thema, weil es die NSA in Deutschland ja gar nicht gibt und weil sie auch gar nicht zuständig ist.

Aber immerhin gesteht die Landesregierung zu – Zitat auf Seite 6 –: "... sind auch bei den hessischen Strafverfolgungsbehörden Strafanzeigen erstattet worden, die zentral dem GBA zugeleitet wurden." Der Generalbundesanwalt habe im letzten Jahr immerhin einen Prüfvorgang angelegt. Die Landesregierung wartet also wieder einmal ab und hat auch ein formales Argument für ihr Desinteresse.

Keine Verantwortung sieht die Landesregierung offenbar auch für sogenannte Contractors. Hier geht es um Privatunternehmen, die aus Einheiten der US-Geheimdienste ausgegliedert wurden. Beispielsweise war Edward Snowden als Spitzenagent mit Zugriff auf sämtliche Top-Secret-Daten und -Programme gar nicht direkt beim US-Geheimdienst beschäftigt, sondern bei Booz Allen Hamilton, dem zweitgrößten der weltweit agierenden Contractors. Contractors machen die richtige Drecksarbeit – ähnlich, wie es die private Söldnertruppe Blackwater im Irak für die US-Armee gemacht hat. Die offizielle Eigenbeschreibung der Tätigkeiten von in Hessen tätigen Contractors ist z. B. Kampfplanung – Combat Service – und militärische Geheimdienstplanung – Military Intelligence Planning –, privatrechtlich organisiert.

Der Clou ist: In Deutschland begünstigt eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes die Tätigkeit dieser Contractor-Firmen sogar noch, und sie arbeiten teilweise parallel für deutsche Behörden. Deutschland ist nach Afghanistan das Land mit dem höchsten Budget des US-Militärs – obwohl hier doch eigentlich gar kein Krieg stattfindet. Aber allein in Hessen sind – laut der Antwort der Landesregierung – von Booz Allen Hamilton in den letzten Jahren 84 Privatagenten akkreditiert worden. Insgesamt waren es in Hessen sogar 240 Privatagenten für die US-Armee und für die NSA, die mit einer von der Hessischen Landesregierung erteilten Arbeitsgenehmigung hier spionieren durften und noch dürfen.

Zur Erlangung dieser Genehmigung müssen nach unseren Informationen sowohl die Arbeitsverträge als auch detaillierte Aufgabenbeschreibungen vorgelegt werden. Die Landesregierung wusste demnach genauestens Bescheid, bevor sie diesen 240 Privatagenten die Erlaubnis zur Spionage von hessischem Boden aus offiziell erteilt hat.

Bei dieser Schweigepolitik wundert es nicht, dass in der Antwort der Landesregierung der weltweit größte Contractor, der milliardenschwere Konzern CSC, fehlt. Der hat seinen Deutschlandsitz in Wiesbaden, in Stützpunktnähe. Klar, das ist sehr praktisch. Laut einer älteren Anfrage von uns hat die Landesregierung mehrere Verträge auch mit CSC abgeschlossen.

Zurück zum Paralleluniversum, in dem unsere Landesregierung lebt. Gefragt nach den problematischen Geheimdiensttätigkeiten dieser Contractors und nach der behördlichen Kontrolle der Sicherheitsüberprüfungen sagt die Landesregierung bloß – Zitat auf Seite 11 –: "In Bezug auf die Gestellung der privilegierten Arbeitnehmer stellt sich die Tätigkeit der Unternehmen wie eine Arbeitnehmerüberlassung dar. ... Demzufolge ist für diese ausländische Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Zuständigkeit der Landesregierung nicht gegeben, ... "

Vizepräsidentin Ursula Hammann: Herr Kollege, Sie müssten zum Ende kommen.

Hermann Schaus (DIE LINKE): Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin. – Wir haben da andere Informationen, Herr Minister.

Zum Schluss der Clou: Wir haben eine Anfrage gestellt, die sechs Unterabschnitte enthält.

Vizepräsidentin Ursula Hammann: Herr Schaus, bitte letzter Satz.

Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Minister, auf wundersame Art und Weise sind neun Fragen in Ihrer Antwort verschwunden. Sie tauchen gar nicht mehr auf. So etwas habe ich in diesem Landtag noch nicht erlebt. Ich habe zwar erlebt, dass man um Fragen herum geantwortet hat, aber dass man die Fragen in der Antwort auf eine Große Anfrage nicht einmal wiederfindet, hat eine neue Qualität. – Herr Minister, ich habe Ihnen all das mitgebracht und übergebe es Ihnen gerne.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) übergibt Materialien.)