Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Petra Heimer: Kinder- und Jugendhilfe bleibt hinter Erwartungen von Familien in Hessen zurück

Fraktion im Hessischen LandtagAbgeordnetePetra HeimerThemenFamilien-, Kinder- und JugendpolitkHaushalt und FinanzenKommunalesSoziales

In seiner 122. Plenarsitzung am 07. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Zweiten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Siebtes Gesetz zur Änderung des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches. Dazu die Rede unserer sozial- und kinderpolitischen Sprecherin Petra Heimer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich erinnere eingangs an die Pressekonferenz der Regierungsfraktionen am 13. September. Da saßen Frau Ravensburg und Frau Anders und verkündeten die frohe Botschaft, eine Landes-Kita-Elternvertretung wird es ab dem kommenden Frühjahr geben.

(René Rock (Freie Demokraten): Wurde schon Sommer daraus! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Warum sollte man noch länger damit warten? – Gegenruf René Rock (Freie Demokraten): Halte dich lieber raus! Du kennst dich gar nicht aus! Ahnungslos!)

Zu ihrer Unterstützung hatten sie Vertreterinnen der LAG

Kita-Eltern Hessen und der Servicestelle aufgeboten. Das Kuriose an dieser Situation war: Offensichtlich hatten sie der Landesarbeitsgemeinschaft Kita-Eltern den Gesetzentwurf vorher gar nicht zugänglich gemacht. Die Elternvertretung konnte zu Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nichts sagen und sollte offenbar nur freundlich in die Kamera lächeln. Was zunächst irritiert, wird erst nachvollziehbar, wenn man die in mehr als fünf Jahren Ehrenamt erarbeiteten Papiere der LAG neben Ihren Gesetzentwurf legt. Beides hat nämlich in der Umsetzung überhaupt nichts miteinander zu tun. Sie haben die LAG Kita-Eltern politisch benutzt. Anders kann man diese Pressekonferenz nicht einstufen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist in der Anhörung zu den Gesetzentwürfen mehr als deutlich geworden. Die Stellungnahme der LAG Kita-Eltern war doch zu Recht völlig vernichtend. Ich zitiere aus der Stellungnahme:

Allerdings bleibt insbesondere der Gesetzentwurf von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich hinter unseren Erwartungen und Vorschlägen zurück.

Ich möchte auf die wesentlichen Kritikpunkte noch einmal eingehen. Sie schaffen eine Landeselternvertretung für die Kitas ohne den erforderlichen Unterbau. Mit Ihrer viel zu kurz greifenden Kannregelung für die kommunale Ebene versuchen Sie nicht einmal ernsthaft, das Problem wenigstens mittelfristig zu lösen. Im Ergebnis werden die KitaEltern auch künftig als Bittsteller vor den kommunalen Gremien auftreten müssen, wie es Frau Prof. Betz so zutreffend bezeichnet hat.

Woran das liegt, erkennt man vielleicht daran, wer wo in den Kommunen auf die Bremse tritt. Meine Kollegin Christiane Böhm hat es hier am Beispiel des Kreistages Groß-Gerau schon im Juni aufgezeigt. Gegen einen KitaEltern-Kreisbeirat stimmte in Groß-Gerau ausgerechnet die CDU-Fraktion.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Hört, hört! – Jan Schalauske (DIE LINKE): Das ist aber nicht so schön!)

Mit dabei war die Landtagsabgeordnete Bächle-Scholz, die hier der Stärkung der Elternmitbestimmung das Wort redet und im Kreis genau das zu verhindern sucht. Nur gut, dass sich das rot-rot-grün regierte Groß-Gerau dennoch auf den Weg gemacht hat. Danke an Christiane Böhm, die sich für eine gute Lösung vor Ort starkmacht. (Beifall DIE LINKE)

Ein weiterer Kritikpunkt der LAG ist die Abschaffung der Servicestelle, die Eltern dabei unterstützen soll, sich vor Ort für kommunale Elternvertretungen starkzumachen. Spätestens in der Anhörung hätte Ihnen allen auffallen müssen, dass die Kommunalen Spitzenverbände leider keinerlei Interesse an einer wirklichen Elternmitwirkung haben. Selbst Ihre butterweiche Kannregelung ist auf massive Gegenwehr gestoßen. Das heißt doch aber in der Konsequenz, dass die Aufgabe der Servicestelle mit der Einrichtung der Landeselternvertretung eben nicht erledigt ist. Warum streichen Sie diese also? Die neu einzurichtende Geschäftsstelle der Landeselternvertretung kann diese zusätzliche Aufgabe unmöglich übernehmen. Dafür ist sie viel zu knapp bemessen.

Kommen wir zu den nicht vorhandenen Mitbestimmungsrechten der Landes-Kita-Elternvertretung. Sie wollen der neu geschaffenen Landeselternvertretung für die Kitas ausschließlich Informations- und Anhörungsrechte geben. Frau Anders, wenn Sie sich in Ihrer Presseerklärung vom 13. September mit den Worten „Partizipation von Eltern ist unabdingbar“ zitieren lassen, dann lassen Sie Ihren Worten doch auch Taten folgen, und ermöglichen Sie Mitbestimmungsrechte.

(Beifall DIE LINKE)

Eine wirksame Beteiligungskultur sieht wirklich anders aus als in Ihrem Gesetzentwurf. Schauen wir auf die Ausgestaltung des Wahlverfahrens und die von Ihnen angekündigte Zeitschiene. Sie wollen das Wahlverfahren in eine Rechtsverordnung auslagern. Dazu gibt es auch Zustimmung von einigen Anzuhörenden.

(Kathrin Anders (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach?)

Ich bezweifele nur sehr, dass damit Ihr versprochener Zeitplan irgendwie gehalten werden kann. Sie beschließen heute Ihr Gesetz. Dann braucht es eine Rechtsverordnung.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das braucht jedes Gesetz!)

Zumindest vor drei Wochen zur mündlichen Anhörung konnten die Anzuhörenden noch nicht berichten, dass sie einen Entwurf dieser Verordnung schon einmal zu Gesicht bekommen hätten. Es ist aber dringend erforderlich, dass auch diese Details mit den davon Betroffenen beraten werden, damit es zu einer funktionierenden Umsetzung kommen kann. Sie hätten das ganz einfach machen können. Sie hätten einen Entwurf der Verordnung zusammen mit dem Gesetzentwurf in die Anhörung geben können. Dann hätte man das zusammen diskutiert, und Verbesserungen hätten gleichzeitig eingearbeitet werden können. Ich sage mit Blick auf die sonstige Arbeit des Ministeriums: Ich bezweifele sehr, dass eine Verordnung zum neuen Jahr vorliegen wird.

Dann haben Sie angekündigt, ein digitales Wahlverfahren durchzuführen zu wollen.

(René Rock (Freie Demokraten): Ja, schauen wir

mal!)

Das klingt erst einmal gut. Leider schweigen Sie sich bisher aus, wie das funktionieren soll. Beginnen wir mit einer Grundvoraussetzung: Gibt es beim Land Hessen ein Gesamtregister aller Erziehungsberechtigter, die ihre Kinder einer Kita oder einer Tagespflegeperson zur Betreuung gegeben haben? – Ich vermute einmal: nein.

Wie wollen Sie dann zeitnah den Kreis der Wahlberechtigten feststellen? Wer soll das digitale Wahlverfahren durchführen? Wird das extern vergeben? Muss da keine EU-weite Ausschreibung erfolgen? Wie soll eine zeitnahe datenschutzrechtliche Überprüfung des Systems erfolgen? – Daran hängen viele Fragen, auf die Sie bisher eine Antwort noch nicht einmal angedeutet haben. Meine Prognose ist, dass es ein digitales Verfahren zur Wahl der Landeselternvertretung bei Kitas vermutlich im Frühjahr geben wird – allerdings nicht 2023, sondern eher 2024.

Kurzum, Sie haben uns nach vielen Jahren des bewussten Verzögerns leider einen wirklich schlechten Gesetzentwurf zur Landeselternvertretung bei Kitas vorgelegt. Ich bedauere das sehr.

Leider kann ich auch zum zweiten heute vorliegenden Gesetzentwurf, dem Gesetzentwurf der FDP, keine vollumfängliche Zustimmung signalisieren. Sie haben insbesondere die Tagespflege vergessen. Da hätte ich doch auf Nachbesserungen gehofft. Auch wenn Sie immerhin eine Sollregelung für die kommunale Ebene vorschlagen, ist das für uns noch nicht weitreichend genug. Dennoch halte ich fest: Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ist deutlich besser als der Entwurf der Regierungsfraktionen

(Beifall Freie Demokraten) und vor allem deutlich näher an dem, was die Elternvertretungen selbst als Anspruch an eine Landesvertretung formuliert haben.

Den Änderungsanträgen der FDP-Fraktion sowohl zu ihrem eigenen Gesetzentwurf als auch zu dem der Koalition werden wir unbenommen davon zustimmen.

Lassen Sie mich noch auf einen zweiten Missgriff des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen zu sprechen kommen. Ich meine damit die Aussetzung des verbesserten Fachkräftestandards für weitere zwei Jahre.

Ich denke schon, dass Ihnen das ausgesprochen unangenehm ist. Zumindest war Herr Martin während der öffentlichen Anhörung sichtlich darum bemüht, dass sich die Anzuhörenden möglichst nur zum Landes-Kita-Elternbeirat äußern und nicht zur Fachkraftfrage. Aber genau so, wie sich die Anzuhörenden nicht haben irritieren lassen, will ich hier noch einmal klar und deutlich sagen: Die Senkung der Standards löst kein Problem in der frühkindlichen Bildung.

(Beifall DIE LINKE)

Im Gegenteil, wenn die Arbeitsbedingungen in den Kitas nicht deutlich besser werden, wird die Zahl der Berufsaussteigerinnen und Berufsaussteiger weiter zunehmen. Umgekehrt gilt: Wenn wir die frühkindliche Bildung endlich angemessen ausstatten, besteht die Chance, dass ehemalige Kolleginnen und Kollegen in den Beruf zurückkommen und mehr Teilzeitkräfte ihre Stundenzahl erhöhen. Das gilt in der Pflege wie auch in den Kitas. Die langen Maßnahmenkataloge, die uns in der Anhörung präsentiert wurden, zeigen, wie viel Spielraum es für positive Veränderungen noch gibt, ohne die Qualitätsstandards anzugreifen.

Eine Verschiebung bis zum Jahr 2024 ist keine Lösung für das Problem, sondern ein Vertagen hinter die Landtagswahl, damit nicht allzu viele Eltern keinen Kita-Platz bekommen und den Rechtsanspruch einklagen müssen. Das würde nämlich für schlechte Stimmung sorgen und sich wahrscheinlich auch auf die Wahlergebnisse niederschlagen. Damit werden Sie Ihrer Verantwortung als Regierung aber leider nicht gerecht.

(Beifall DIE LINKE)