Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Rede zum Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO)

Marjana Schott
Marjana Schott

Rede Marjana Schott zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) – Drucks. 19/2412 Zweite Lesung


– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Grünen 2003 einen gleichlautenden Gesetzentwurf in den hessischen Landtag eingebracht haben. Dieser wurde damals vom Parlament mehrheitlich abgelehnt. Jetzt sind es die Grünen selbst, die ihren eigenen Gesetzentwurf ablehnen.

Ich freue mich auf die grüne Stellungnahme hier im Parlament, mit der Sie begründen wollen, dass Sie Ihre Meinung geändert haben. Mein Kollege Hermann Schaus, beschrieb die Diskussion im Innenausschuss als grünen Eiertanz. Ich habe mal nachgesehen: die Redewendung „einen Eiertanz vollführen“ definiert der Duden umgangssprachlich als „sehr vorsichtiges, gewundenes Verhalten, Taktieren in einer heiklen Situation“, ursprünglich wurde damit ein „kunstvoller Tanz zwischen ausgelegten Eiern“ bezeichnet. Da sind wir doch alle gespannt.

In den Kommunalparlamenten gibt es immer noch nicht viele Menschen mit Behinderungen. Warum wohl? Weil es immer noch Rathäuser gibt, die nicht barrierefrei sind, also bei Behinderungen nicht ohne fremde Hilfe betreten werden können.

Wenn Menschen mit Behinderungen um jeden Nachteilsausgleich kämpfen bzw. eher betteln müssen, ist dies eine unwürdige Angelegenheit. Ja, liebe Grüne, dies ist auch heute noch so. Wenn Ihr dies nicht so wahrnehmt, dann überlegt mal selbst, wie viele Gemeindevertreter_innen mit Schwerbehinderung in den Kommunalparlamenten vertreten sind und wie viele Ihr kennt. Wir haben uns da mal umgehört. Die Diskussionen mit den Verwaltungen vor Ort beginnen bei der Anforderung, dass es auch Stühle ohne Armlehne geben soll, weil jemand, der gewöhnlich im Rollstuhl sitzt, auch den Stuhl benutzen möchte. Sie geht weiter über Türkliniken, die zu hoch sind, um sie sitzend zu öffnen, oder Türen, die sich nicht einhändig öffnen lassen. Da kann man ohne Begleitung den Raum nicht verlassen. Es gibt die Diskussion um Tische, die mit dem Rollstuhl unterfahrbar sind, um höhenverstellbare Redepulte, zusätzliche Mikrofone und vieles mehr.

Apropos zusätzliche Mikrofone. Eine Stadtverordnete bat um ein Mikrofon, weil sie vom Platz aus sprechen möchte und nicht von einer Begleitperson

vorgeschoben werden wollte. Sie hat sich das Mikrofon auch selbst besorgt, weil es ja keine rechtliche Grundlage gibt. Die Verwaltung und der Magistrat waren allerdings nicht damit einverstanden, dass das Mikrofon angeschlossen wird. Es wurde damit argumentiert, dass es besser wäre, wenn sie vor der Versammlung sitzen würde. Das ist ein seltsames Verständnis von Inklusion, wenn man über die Interessen der Betroffenen derart hinweg geht. Genau aufgrund solcher Fälle, die, wie gesagt, keine Einzelfälle sind, brauchen wir eine Regelung in der HGO.

Ein gesetzlicher Anspruch wird helfen, diese Ansprüche durchzusetzen. Dann kann die Kommune diesen nicht zurückweisen oder unter Finanzierungsvorbehalt stellen. Es wäre klar, dass nicht der Betreffende selbst seine Kosten tragen muss, sondern die Verwaltung für die barrierefreie demokratische Beteiligung verantwortlich ist.

Man kann sich nur theoretisch darauf zurückziehen, es sei schon alles geregelt. Wir haben neben dem Benachteiligungsverbot im Grundgesetz die UN-Behindertenrechtskonvention mit der Verpflichtung für die Vertragsstaaten, dass sie „das Recht von Menschen“ schützen „bei Wahlen zu kandidieren, ein Amt wirksam innezuhaben und alle öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit wahrzunehmen, indem sie gegebenenfalls die Nutzung unterstützender und neuer Technologien erleichtern.“ Dies sind aber alles Verpflichtungen, die eine konkrete Regelung für die Praxis benötigen.

2003 haben die angehörten Verbände und Institutionen den Gesetzesentwurf begrüßt, lediglich Städtetag und Städte- und Gemeindebund hatten Bedenken – ja auch der Landkreistag hat zugestimmt. Ich bin mir sicher, eine neuerliche Anhörung hätte ähnliches zu Tage treten lassen. Auch wenn das Hessische Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen von einem Benachteiligungsverbot spricht, stellt es sämtliche bauliche und sonstige Veränderungen unter einen Finanzierungsvorbehalt. Die meisten Kommunen in Hessen können nachweisen, dass sie nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Es enthält auch keinen speziellen Anspruch für Gemeindevertreter_innen.

Mit dieser Gesetzesänderung können wir dafür sorgen, dass eine tatsächliche Gleichbehandlung möglich ist und mehr Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglichen, am demokratischen Geschehen teilzunehmen.