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Rede

Rede zum Setzpunkt der SPD „Gebührenfreie Bildung von Anfang an – Qualität schrittweise verbessern – Kommunen entlasten – Bürokratie abbauen“

Marjana Schott
Marjana SchottFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

Rede Marjana Schott am 30. August 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich muss sagen, mich freut der Wettbewerb, der hier im Landtag bezüglich der Befreiung von den Kindertagesstättengebühren stattfindet. Das ist ganz nach meinem Geschmack. DIE LINKE hat im Februar 2016 einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Elternbeiträge, zur Entlastung der Kommunen durch höhere Pauschalen, zur Verbesserung der Qualität, u.a. durch die finanzielle Entlastung der Kommunen und zur Entbürokratisierung vorgelegt. Bei dem, was wir jetzt bekommen, kann man nur sagen, es bleibt vieles noch zu tun, es ist aber ein Schritt zur Durchsetzung unserer Forderungen. Wenn das immer so wäre hier im Lande, dann bleiben wir gerne in der Opposition und treiben die Landesregierung vor uns her.

Allerdings: wir schreiben die Erfolge nicht nur auf unsere Fahnen. Es sind die vielen Elterninitiativen, die kommunalen Parlamente und Bürgermeister*innen sowie Landrät*innen, die dafür Druck gemacht haben. Es ist auch die SPD, die damals im Februar mit einem kleinmütigen Antrag zu einem weiteren beitragsfreien Kitajahr nachgezogen ist, und das Thema zum Wahlkampfthema erkoren hat. Es sind aber auch die massiven Belastungen, die Eltern zu tragen haben, die durch kommunale Steuern und Abgaben genauso wie alle anderen Bürger*innen belastet sind und zusätzlich hohe Kitagebühren zu tragen haben. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben berechtigte Angst, dass sie im nächsten Jahr die Quittung für ihre verfehlte Politik erhalten. Denn sie haben die Kommunen ausgeblutet, in der letzten Wahlperiode war auch die FDP dabei, sie halten die Kommunen am Gängelband, sie haben ein Kifög verabschiedet, von dem sie gesagt haben, das es nur die Untergrenze an Personal und Qualität darstellt und die Kommunen gerne eine bessere Ausstattung vor Ort realisieren sollen. Sogar von Freiheit und Verantwortung war die Rede. Aber nur bis zum nächsten Bericht des Landesrechnungshofes. Der schlug allen defizitären Kommunen ihre über das Kifög hinausgehenden Qualitätsstandards um die Ohren. Wer kein Geld hat, darf sich keine Qualität, keine gute Bezahlung des Personals und keine höheren Personalschlüssel leisten.

Aber wie es mit der Freude ist, sie währt nicht lange bei dieser Landesregierung. Die frohe Botschaft war kaum im Land angekommen, da rannten die Eltern bereits den Kitas die Tür ein und fragten, ab wann sie jetzt keine Beiträge zahlen müssen. Ob auch in den Kinderhorten und der Nachmittagsbetreuung der Schulkinder oder bei den U3-jährigen die Beitragsfreiheit eingeführt wird? Den Erzieher*innen kommt dann die unangenehme Aufgabe zu, erklären zu müssen, dass dies nur für zwei Jahrgänge und nur für sechs Stunden gilt. Nichts gesagt wurde von der Landesregierung bezüglich der Kindertagespflege und zu den Kindern, die ein Jahr länger im Kindergarten sind. Überall wurden die Grundmodule auf etwas mehr als fünf Stunden festgelegt, jetzt beginnt die Arbeit von neuem. Sechs Stunden Aufenthalt in der Kita bedeutet gerade im ländlichen Bereich, dass mehr Kinder am Mittagessen teilnehmen werden. Das muss organisiert werden. Ganz zu schweigen davon, dass alle von der Ankündigung überrascht wurden. Aber so ist das, wenn man einen Schnellschuss für ein Wahlkampfmanöver in die Landschaft setzt.

Jetzt wissen wir, wir können alles unter Geschwätz subsummieren, was von den Regierungsfraktionen hier im Plenum wie im Ausschuss zu der Qualitätsentwicklung in den Kitas gesagt wurde. Es war erst am 5. August, als Markus Bocklet in der Presse verkündete: „Für die Eltern gebührenfreie Angebote sind erstrebenswert, zunächst stehen der Ausbau der Plätze und deren Qualität im Vordergrund.“ So schnell können sich im Wahlkampf Positionen verändern, wenn befürchtet wird, dass die Wählerinnen und Wähler genug davon haben, immer stärker belastet zu werden. Sie müssen fast überall im Land höhere Grundsteuern zahlen, sie erleben vielfältige Erhöhungen bei Straßenbeiträgen, bei der Nutzung der Schulkindbetreuung, von Schwimmbädern, Bibliotheken und Jugendeinrichtungen, solange es sie noch gibt, sowie umfangreiche Angebotsverschlechterungen. Da würde ich an Ihrer Stelle auch Angst kriegen.

Noch ein zweites Beispiel: Frau Wiesmann hat uns bei jeder Gelegenheit, wenn es um die Beitragsfreiheit ging, kritisiert, dass die Befreiung von den Elternbeiträgen nur die Reichen bevorzugt. Was ist jetzt? Dürfen wir jetzt öffentlich behaupten, dass die CDU nur Politik für die Reichen macht? Ich gehe davon aus, dass Sie jetzt gerne auf unsere Argumentation zurückgreifen, dass es dringend notwendig ist, gerade die Familien zu entlasten, deren Einkommen knapp über der Befreiungsgrenze liegt. Diese könnten auch bei einer der seltenen einkommensabhängigen Beitragstabellen Erleichterungen haben, müssen aber trotzdem Beiträge zahlen. Wir sehen allerdings die frühkindliche Bildung als Teil des Bildungssystems, in dem das Kind mit anderen Herangehensweisen als in der heutigen Schule Lernprozesse, wie Zusammenleben in einer Gruppe, Erfahrungen in der Natur, Kreativitätsentwicklung und einiges mehr erlebt. Bildung muss für Eltern wie für Kinder kostenlos sein, hier darf es keine Hürden geben, keine Überlegungen, wie viel Bildung kann ich mir für mein Kind leisten und was ist nicht mehr drin. Es gibt genügend Möglichkeiten, die Reichen zur Finanzierung dieser Daseinsvorsorge heranzuziehen. Deshalb heißt das Ding auch Steuern, damit gesellschaftlich wichtige Arbeit gut finanziert wird und dies von den Leuten, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können.

Aber wo bleibt jetzt die Qualität?
50 Millionen will Schwarzgrün in zwei Jahren dafür ausgeben. Das wären durchschnittlich 520 Euro pro Monat pro Kita. Dazu gibt es widersprüchliche Aussagen, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Minister Grüttner sprach in der Vorstellung davon, dass das Geld für den Übergang in die Schule eingesetzt werden soll, dann hieß es für Fortbildungen der Mitarbeiter*innen. All das ist Stückwerk. Wenn die Kommunen von den hohen Lasten der Kindertagesbetreuung entlastet werden würden, wären sie auch in der Lage den Personalschlüssel so zu gestalten, dass die Einrichtungen Personal für Fortbildung freistellen können.

Wir brauchen bundesweit gültige Mindestqualitätskriterien, damit Eltern nicht solch unterschiedliche Bedingungen von Bundesland zu Bundesland, von Kommune zu Kommune erfahren müssen. Wenn wir uns den aktuellen Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung ansehen, sehen wir große Unterschiede alleine in Hessen. Die Fachkraft-Kind-Relation bei der U3-Betreuung hat eine Spanne zwischen 3,1 in Darmstadt und 4,5 in Fulda, bei den Ü3-Kindern zwischen 7,6 in Darmstadt und 11,9 im Werra-Meißner-Kreis. Wobei die Anforderungen der Bertelsmann-Stiftung von 1:3 und 1:7,5 nur annähernd in Darmstadt erreicht werden. Bundesweit steht Hessen nicht gerade an der Spitze, da sind es immer noch 10 Überdreijährige, die einer Fachkraft gegenüber stehen.

Wenn wir das Personal in den Kindertageseinrichtungen halten und dafür sorgen wollen, dass dieses arbeitsfähig bleibt, müssen entscheidende Schritte gegangen werden. Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde in Südhessen hat mir vor kurzem versichert, dass es Fluktuation bei seinem Kitapersonal nur aus familiären Gründen gibt und dass seine Stellen alle besetzt sind. Und dies sogar ohne Zulagen. Es geht also, wenn die Bedingungen stimmen, sprich, wenn die Kommune genügend Mittel für mehr Personal hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es einen hohen Krankenstand, die Flucht in die Teilzeit oder die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz in der Hoffnung, dass es dort besser wird.

SPD und LINKE haben Anforderungen an die frühkindliche Bildung gestellt. Das ist zum einen die Beitragsfreiheit. DIE LINKE wollte diese bereits ab 2017 vollständig haben, die SPD in vier Schritten. Die Kommunen sollen entlastet werden – ich sage es gerne noch einmal – erst das ermöglicht bessere Qualität. Hier will DIE LINKE eine weitgehende Kostenübernahme durch das Land, zumindest der Betriebskosten. Die Bürokratie soll abgebaut werden. Wer Verwaltungsvereinfachung und Bürokratieabbau möchte, hätte damals unserem Gesetzentwurf zustimmen müssen. Das Land könnte sein Personal anderweitig einsetzen, die Kreise bräuchten keine Abteilung für die Beitragsermäßigung mehr, durch die Beitragsfreiheit würden sie echtes Geld sparen. Der Kitaträger brauchte sich nicht mehr mit den Eltern über die Beiträge auseinanderzusetzen. Die Kitas können sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren und müssen nicht ständig rechnen, ob noch genügend Kinder für das vorhandene Personal da sind.

Konzepte liegen im Landtag vor. Mit diesen wurde sich aber weder von Seiten der Regierung beschäftigt noch ernsthaft geprüft.

Wir sind gespannt, welcher Gesetzentwurf diesen Ankündigungen folgt und wie mit der Kritik der Kommunen an dem unzureichenden Ausgleich umgegangen wird. Das Thema wird in allen Kommunalparlamenten eine Rolle spielen und ich bin keine Prophetin, wenn ich davon ausgehe, dass der Regierung und den Fraktionen demnächst viele neue Briefe und Beschlüsse vorliegen werden. Immerhin hat die Landesregierung gezeigt, sie ist in einem gewissen Umfang druckempfindlich – besonders vor der Wahl – da kann ich nur alle ermutigen, weiter Druck zu machen. Es ist durchaus noch was drin. Und das nicht, weil die Landesregierung gut gewirtschaftet hat. Sondern weil die Einnahmen aktuell sprudeln und die kommen von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Die Landesregierung verwaltet das Geld nur.