Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Hessen braucht ein Antidiskriminierungsgesetz!

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 99. Plenarsitzung am 29. März 2022 diskutierte der Hessische Landtag den von uns eingebrachten Gesetzentwurf für ein Hessisches Antidiskriminierungsgesetz. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung.

So steht es in Art. 1 unserer Hessischen Verfassung. Ein Blick auf die Zahlen und die Realität aber macht deutlich, dass nicht allen Hessinnen und Hessinnen das Recht zukommt, gleichbehandelt zu werden und frei von Diskriminierung zu leben. Im Jahr 2021 verzeichnete allein die Stabsstelle Antidiskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration 208 Beratungsanfragen aufgrund von Diskriminierung – und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein; denn für viele Betroffene ist Diskriminierung ein trauriger Bestandteil ihres Alltags.

Nur wenige von ihnen wissen um den bereits bestehenden Rechtsschutz, etwa durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG. Den Betroffenen kann oft schlichtweg nicht geholfen werden, weil die gesetzlichen Hürden, eine Diskriminierung geltend zu machen, sehr hoch sind und es nach wie vor viele Regelungslücken gibt. Genau das wollen wir als DIE LINKE mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern.

(Beifall DIE LINKE)

Unser Antidiskriminierungsgesetz soll, wie gesagt, vorhandene Lücken schließen, indem es den Diskriminierungsschutz auf öffentlich-rechtliches Handeln ausdehnt. Im Gegensatz zum AGG, welches lediglich im Bereich des Zivilund Arbeitsrechts anwendbar ist, soll unser Gesetz auch vor Diskriminierung eben durch den Staat schützen.

In § 1 führen wir auf, dass es um die Durchsetzung von Chancengleichheit, Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung und die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt geht. Die Wertschätzung von Vielfalt ist ein entscheidendes Merkmal einer pluralistischen Gesellschaft.

Den Merkmalskatalog von Diskriminierung haben wir im Vergleich zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz um die antisemitische Zuschreibung, chronische Erkrankungen, die Sprache, den Familienstand, das Erscheinungsbild, den Aufenthaltsstatus sowie den sozialen Status als mögliche Diskriminierungsmerkmale ergänzt. Wenn z. B. die Empfehlung für eine weiterführende Schule am sozioökonomischen Status der Familie festgemacht wird, nähern wir uns wieder gefährlich einer Ständegesellschaft – und das gilt es entschieden zu bekämpfen, dem gilt es sich entschieden entgegenzustellen. Deshalb ist die Erweiterung um die genannten Merkmale unserer Meinung nach dringend notwendig.

(Beifall DIE LINKE)

Unter Diskriminierung verstehen wir dabei Ungleichbehandlungen jedweder Art, die nicht durch sachliche Gründe hinreichend begründet werden können.

Nun gehe ich auf ein paar Kernpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs ein: Auch – ich betone: auch – für die präventive Wirkung des Gesetzes ist ein gerichtlich durchsetzbarer Schadenersatz- und Entschädigungsanspruch für Betroffene vorgesehen. Um die Hürden für Diskriminierte zu senken – wie das Unionsrecht es übrigens vorgibt –, beinhaltet das Gesetz eine sogenannte Vermutungsregelung.

Das heißt: Wenn die Betroffenen glaubhaft machen können, Opfer von Diskriminierung geworden zu sein, obliegt es der öffentlichen Stelle, das Gegenteil zu beweisen. Und bevor jetzt der Einwand kommt, dies würde zu Missbrauch einladen, lassen Sie mich klarstellen: In der Praxis – so berichtet von den Praktikerinnen und Praktikern sowie von den Expertinnen und Experten aus Berlin, wo es ein solches Gesetz bereits seit 2020 gibt – reicht sogar diese Beweislasterleichterung oft nicht aus, um tatsächliche Diskriminierung glaubhaft zu machen.

Der Gesetzentwurf sieht des Weiteren die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle vor, die die Beschwerden entgegennehmen soll und mit bestimmten Rechten versehen wird, um eine gütliche Einigung zu erzielen, noch bevor es zu Klagen kommt. Denn es zeigt sich: Den Betroffenen geht es in den meisten Fällen nicht darum, hohe Entschädigungssummen einzuklagen, sondern es geht darum, das Unrecht, das ihnen geschehen ist, rückgängig zu machen und in Zukunft zu vermeiden. Sie wollen schlicht und ergreifend eine Entschuldigung.

Die meisten Anliegen können im Schlichtungsverfahren durch die Ombudsstelle zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgeschlossen werden. Nur – das sagen uns die Kolleginnen und Kollegen aus Berlin auch sehr deutlich – muss eine solche Ombudsstelle insbesondere mit genügenden personellen Ressourcen ausgestattet werden.

(Beifall DIE LINKE und Turgut Yüksel (SPD))

Deshalb, und weil Hessen im Gegensatz zu Berlin ein Flächenland ist, haben wir insgesamt vier Außenstellen für die Ombudsstelle vorgesehen: eine in jedem Regierungsbezirk und die Zentrale hier in Wiesbaden. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass die Ombudsstelle nur e i n Baustein in der Beratungsinfrastruktur sein soll; denn diese muss darüber hinaus in der Fläche ausgebaut und bedarfsgerecht angepasst werden.

Ein weiteres wichtiges Instrument, das der Gesetzentwurf beinhaltet, ist die Verbandsklage. Im Klartext heißt das, dass Organisationen und Verbände, die eine bestimmte Expertise aufweisen und kein geschäftliches Interesse verfolgen, im Namen der Betroffenen Klage erheben und den Prozess für diese betreiben können. Dies ist für Personen, die von Diskriminierung betroffen sind, sehr wichtig und eine große Erleichterung. Zum anderen sieht das Gesetz auch die sogenannte opferlose Klage vor, in der Verbände strukturelle Diskriminierung ahnden können, selbst wenn es – noch – keinen direkten Leidtragenden gibt. Das ist unserer Meinung nach eine weitere gute Möglichkeit, Diskriminierung vorzubeugen.

Uns ist natürlich bewusst, dass der beste Schutz vor Diskriminierung eine Änderung der Sichtweise ist: Vor allem in den Köpfen muss sich etwas verändern. Die Antidiskriminierungsarbeit in Hessen gleicht nach wie vor leider einem Flickenteppich. Auch das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf ändern. So soll es z. B. ergänzend zur Ombudsstelle eine zentrale Stelle geben, die allen öffentlichen Stellen dabei behilflich ist, ihre Abläufe auf Diskriminierungspotenzial zu prüfen, Gegen- und Präventivmaßnahmen auszuarbeiten, für die Gefahren von Diskriminierung zu sensibilisieren sowie gegebenenfalls hierbei Hilfe von der Wissenschaft zu erhalten. Das könnte die bereits existierende Stabsstelle Antidiskriminierung des Ministeriums für Soziales und Integration übernehmen.

Meine Damen und Herren, nur so können wir Diskriminierung auf Dauer erfolgreich bekämpfen und nun Ihre mittlerweile schon seit drei Jahren andauernde Prüfung – –