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Rede

Saadet Sönmez - Kampf gegen Antiziganismus darf nicht auf die Betroffenen abgewälzt werden

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 112. Plenarsitzung am 20. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag das Gesetz zu dem Vertrag zwischen dem Land Hessen und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident hat es bestätigt, und auch in der Präambel des vorliegenden Staatsvertrags ist zu lesen, dass dieser sich das Ziel gesetzt hat, Unterstützung anzubieten und Gleichheit zwischen Angehörigen der Minderheiten und der Mehrheit zu fördern. – Das ist ein ehrenwertes Ziel, welches aber unserer Meinung nach als grundsätzliche Maxime für alle Marginalisierten in dieser Gesellschaft gelten sollte.

Gleichwohl muss man sagen und hier ein bisschen die Euphorie herausnehmen: Leider zeigen Ergebnisse der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die 2019 von der Bundesregierung eingesetzt wurde und die im letzten Jahr ihren umfassenden Bericht vorlegte, wie weit wir noch davon entfernt sind. Die Erkenntnisse sind erschreckend.

Zum einen hat die Kommission festgestellt, dass Antiziganismus in Deutschland nach wie vor als Normalität gilt und es weitestgehend an Bewusstsein für die bestehenden massiven Diskriminierungen gegenüber Sintize und Romnja nahezu in allen Lebensbereichen mangelt. Antiziganismus gehört eigentlich vielmehr in einer Reihe von staatlichen Einrichtungen – zu nennen sind vor allem die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt – zur Grundhaltung vieler Mitarbeitenden, durch die gesamte Minderheiten Deutschlands nach dem Krieg systematisch kriminalisiert und weitestgehend aus der Gesellschaft ausgegrenzt worden sind und immer noch werden. Bis heute ist Antiziganismus in staatlichen Behörden und im staatlichen Handeln vorzufinden. Das sind doch ernüchternde Zahlen, die wir in dieser umfassenden Studie vorfinden. Eine durch die Kommission in Auftrag gegebene Studie hat etwa ergeben, dass sich über 90 % der befragten Organisationen von Sintize und Romnja mit ungleichem gesellschaftlichem Zugang zu Bildung, Wohnen, Arbeit und gesundheitlicher Versorgung konfrontiert sehen, und sie fühlen sich auch durch staatliche Institutionen wie die Justiz ungleich behandelt.

Gleichzeitig kommt der Bericht zu dem Schluss, dass die institutionelle Bekämpfung des Antiziganismus immer noch bei nahezu null liegt und in den vergangenen Jahrzehnten – das wurde hier eigentlich noch einmal bekräftigt – fast ausschließlich durch zivilgesellschaftliche Akteure und die Betroffenenverbände geleistet wurde. Das ist natürlich dankenswert, und wir sind ebenfalls dankbar für diese Arbeit, aber es reicht eben nicht aus, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist deswegen natürlich richtig und wichtig, dass die Landesregierung eine dieser Organisationen, nämlich den Landesverband der Sinti und Roma in Hessen, finanziell unterstützt und die Zusammenarbeit auch gesetzlich verankert. Gleichzeitig sollte jedem, der diesen Bericht liest – lesen Sie ihn, er ist wirklich interessant –, klar sein, dass das bei Weitem nicht genug sein kann.

Mehrere Studien, darunter auch die umfassende Romno-Kher-Studie erst aus dem letzten Jahr, verdeutlichen, wie weit die Lücke zwischen Sintize und Romnja gegenüber der gesamten Bevölkerung immer noch klafft, was die gesellschaftliche Teilhabe anbelangt. Nehmen wir z. B. dencBildungsbereich: Während in der Gesamtgesellschaft nur 7 % die Schule ohne Schulabschluss verlassen, haben fast 34 % der Sintize und Romnja keinen Regelschulabschluss. Nur rund 9 % von ihnen erreichen einen Gymnasialabschluss, ein Anteil, der in der Gesamtgesellschaft um das Fünffache höher liegt. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass der Schulabschluss ein maßgeblicher Faktor ist, wenn es um die gesellschaftliche Teilhabe geht.

Um diesem Zustand zu begegnen, reichen die etwas vagen Absichtserklärungen des vorliegenden Vertrags leider bei Weitem nicht aus.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ja. – Wenn es der Landesregierung ernst mit ihrem Anliegen ist, dann müssen Sie weitgehende und umfassende Maßnahmen treffen. Da wäre z. B. ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz, was wir hier vorgelegt haben und was auch von den Verbänden befürwortet wurde, ein maßgeblicher und richtiger Schritt für die Bekämpfung von Diskriminierung in diesem Hessenland. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)