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Rede

Saadet Sönmez - Schwarzgrünes Gesetz wird weder Integration noch Teilhabe verbessern

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 130. Plenarsitzung am 21. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Hessischen Integrationsgesetz. Dazu die Rede unserer migrations- und integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

In der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Landesregierung teilte Herr Bocklet an diesem Rednerpult vollmundig mit, seine Fraktion höre in Anhörungen zu und nehme kritische Anregungen auf.

Nachdem nun die sehr umfangreiche Anhörung vor einigen Wochen erfolgt ist, müssen wir feststellen, dass es wohl nicht weit hergeholt ist, wenn ich sage: Diese Aussage von Ihnen, Herr Bocklet, war nichts anderes als eine Farce; denn Sie haben wieder nichts dergleichen getan. Sie haben eben nicht auf die Anzuhörenden gehört und haben die Kritik und die Vorschläge nicht aufgenommen.

Hätten Sie bei der Anhörung tatsächlich zugehört und die wieder- und wiederkehrenden Anregungen vonseiten ganz unterschiedlicher Anzuhörender ernst genommen, dann hätten Sie jetzt eine ganze Batterie von Änderungsanträgen vorlegen müssen – oder besser noch, Sie hätten einen komplett neuen Entwurf vorlegen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Eigentlich waren Ihnen die meisten Anregungen, wie Sie das nennen, bereits aus der Regierungsanhörung bekannt. Allein die Stellungnahme der Liga war damals schon 39 Seiten lang. Die erste Gelegenheit zur Verbesserung haben Sie damals versäumt; jetzt lassen Sie zum zweiten Mal die Gelegenheit verstreichen, nachzubessern bzw. diesen Gesetzentwurf zu erneuern.

Ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Anzuhörenden sehr wohl bemerken, wie wenig Sie sich für ihre Hinweise interessieren, wie man eben auch den vielen Stellungnahmen entnehmen kann. Meine Damen und Herren von der Landesregierung, so schüren Sie nicht nur Politikverdrossenheit, sondern stellen sich über die Meinung all derjenigen, die Ihr Gesetz nun in die Praxis umsetzen sollen. Das ist nicht die Wertschätzung, die diese Menschen verdienen; sie hätten mit Sicherheit eine andere Wertschätzung verdient.

(Beifall DIE LINKE)

Nun scheinen konstruktive Kritik und Vorschläge Sie zwar nicht zu interessieren; trotzdem ist es wichtig, hier ein paar Punkte noch einmal auszuführen.

Lassen Sie mich mit der wiederholten Kritik vieler Anzuhörender an den zentralen Begrifflichkeiten in Ihrem Gesetzentwurf beginnen. Sie haben den Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ in „Menschen mit Migrationsgeschichte“ umgewandelt. Darunter fallen nun auch Menschen, die rassistisch diskriminiert werden.

Zum einen gibt es für diesen Begriff aber keine statistischen Daten. Das führt dazu, dass Sie selbst Ihre neuen Begriffe nicht konsequent in Ihrem Entwurf nutzen können und deswegen immer dort, wo es um Quoten geht, wieder von „Migrationshintergrund“ sprechen müssen.

Zum anderen macht dieser Begriff – wie der Landesverband der Sinti und Roma richtigerweise bemängelt hat – Gruppen, die seit Jahrhunderten in Deutschland leben, wieder zu Migranten.

Der andere zentrale Begriff, der in dem Entwurf immerhin 44-mal auftaucht, ist der der „chancengerechten Teilhabe“. Was dieser Begriff aber aussagen soll, was chancengerechte Teilhabe ist, die Antwort bleibt aus. So ist der Gesetzentwurf voll mit juristisch schwammigen Begriffen.

Von den GRÜNEN wurde angekündigt, den Entwurf nach der Anhörung kritisch auf Leerstellen zu überprüfen. Ich lade Sie noch einmal dazu ein, die Stellungnahmen der Anzuhörenden durchzulesen; denn da geht es fast ausschließlich um das, was eben nicht in diesem Gesetz niedergeschrieben ist. Ich zähle exemplarisch nur ein paar Bereiche auf:

Der Zugang zu Wohnraum – das ist wissenschaftlich belegt – ist für Menschen mit Migrationshintergrund dank weit verbreiteter rassistischer Vorbehalte besonders erschwert. Welche Maßnahmen sieht das Gesetz in diesen Bereichen vor, meine Damen und Herren? – Keine.

Oder schauen wir einmal auf den Bereich Gesundheit. Für diesen Bereich hat sich Minister Klose besonders gelobt. Man fragt sich, wofür eigentlich. Etwa dafür, dass er den Anregungen z. B. von DRK und Medinetzen gefolgt ist und Menschen ohne Aufenthaltstitel oder denen, die noch in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind, nun einen gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem ermöglichen will? – Fehlanzeige, meine Damen und Herren. Dem ist eben nicht so.

Oder sprechen wir einmal über Bildung. Die Kollegin der Diakonie hat Sie darauf hingewiesen, dass das Land Hessen durch Unionsrecht verpflichtet ist, Minderjährigen im schulpflichtigen Alter spätestens drei Monate nach Stellung des Asylantrags einen gleichwertigen Zugang zum Schulwesen zu ermöglichen, wie er EU-Bürgern zusteht. Dies ist eben nur durch schnellere Zuweisung in die Kommunen möglich. Meine Damen und Herren, das hat sie Ihnen auch gesagt. Steht das in dem Gesetz? – Nein, das steht leider auch nicht in dem Gesetz.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt – das wurde hier schon erwähnt – ist ein wichtiger Faktor, nicht nur im Rahmen der ökonomischen Verwertbarkeit der Menschen, sondern eben auch für die Integration und die gesellschaftliche Teilhabe. Aber auch danach ist in Ihrem Entwurf lange zu suchen, meine Damen und Herren.

Der Migrationsrechtsanwalt Dr. Bruns, der ebenfalls als Anzuhörender geladen war, hat Ihnen mehrere Wege beschrieben, wie dies auf Landesebene schnell zu regeln wäre. Er hat Ihnen sogar Formulierungsvorschläge für Ihren Gesetzentwurf vorgelegt, die wörtlich übernommen werden könnten. – Meine Damen und Herren, auch hier Fehlanzeige. Sie machen es nicht, Sie haben es nicht zur Kenntnis genommen.

Eine besonders große Lücke stellt die politische Teilhabe dar; das wurde in der Anhörung auch schon mehrfach bemängelt. Das Gesetz trägt zwar das Wort im Namen, aber über die Besetzung von Landesgremien mit mehr Menschen mit Migrationsgeschichte hinaus sucht man in Ihrem Entwurf vergeblich nach Maßnahmen zur Stärkung von politischer Partizipation. Aber da bleibt sich die Landesregierung treu – das muss man so sagen –, die kürzlich Ausländerbeiräte faktisch sowieso abschaffen wollte.

Zu guter Letzt will ich noch auf eine grundsätzliche Sache zu sprechen kommen, die ebenfalls auf massive Kritik gestoßen ist. Fast alle Anzuhörenden, zuvorderst die Kommunalen Spitzenverbände und die Wohlfahrtsverbände, die diejenigen sind, die die Integrationsarbeit in der Praxis ausführen sollen, haben Ihnen unisono gesagt, dass diese Arbeit Geld kostet, und zwar mehr, als das Land ihnen bisher mit Ihren projektbasierten Förderungen zur Verfügung gestellt hat, in denen so gut wie alles auf Ehrenamtler abgewälzt wird. Das ist aber nicht ausreichend; das wissen wir. Sie müssen sich Integrationsarbeit schon etwas kosten lassen, wenn Ihnen ernsthaft daran gelegen ist, dass Integration in unserem Land gut und richtig funktioniert, meine Damen und Herren.

Präsidentin Astrid Wallmann:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Das ist der letzte Satz, Frau Präsidentin. – Gute Integrationspolitik sieht anders aus, so wie in dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung auf jeden Fall nicht. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)