Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024
Rede
Saadet Sönmez - Verschleppte Einbürgerung verwehrt Millionen Menschen das Recht auf Teilhabe
In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion der SPD zu ihrem Antrag "Zusammenhalt stärken, Teilhabe ermöglichen und dem Fachkräftemangel begegnen - Deutschland braucht ein modernes Einbürgerungsrecht!". Dazu die Rede unserer migrations- und integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Herr Hering, wenn Sie jetzt an diesem Rednerpult von authentischen eigenen Erfahrungen reden wollen, dann können wir das gerne machen. Da hätte ich auch so einiges zu erzählen,
(Beifall DIE LINKE)
wenn es um die Debatte geht: Gehören wir Gastarbeiterkinder, Menschen mit Migrationshintergrund zu dieser Gesellschaft, oder nicht? – Aber, wie Sie berechtigterweise gesagt haben, lassen wir das jetzt einmal beiseite. Wir versuchen, dieses Thema einmal sachlich anzugehen.
Es ist, glaube ich, ein Unterschied, ob Menschen ihre Sorge zur Sprache bringen oder ob Menschen von „verramschen“ reden. Das waren nicht irgendwelche besorgten Bürgerinnen und Bürger, sondern es waren hoch dotierte Politikerinnen und Politiker, die das gesagt haben. Den Unterschied muss man schon machen. Da muss man schon auf seine Wortwahl achten, wenn man das als Politikerin und Politiker und als Vertreterin und Vertreter von Parteien an Rednerpulten öffentlich zur Sprache bringt. Da muss man schon ein bisschen Vorsicht in seinem Sprachgebrauch walten lassen. So einfach ist das, Herr Hering.
(Beifall DIE LINKE – Zuruf Thomas Hering (CDU))
Herr Wagner, Sie haben jetzt Einsichtigkeit gezeigt und gesagt: Wir haben einen Änderungsantrag für den Haushalt vorbereitet. – Sie fordern jetzt, glaube ich, zehn Stellen mehr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Beamtinnen und Beamte im Bereich der Einbürgerung. Dafür, dass wir jetzt seit Monaten darüber reden, ist das, na ja – – Aber okay, wir haben hier schon über andere Dinge sehr lange geredet, sind zu keinem Ergebnis gekommen und haben keine Reaktion bei den GRÜNEN bewirken können. Daher ist es positiv, dass Sie das jetzt eingesehen haben. Wir haben nämlich von dem Ressort zurückgemeldet bekommen, dass drei Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter für den Bereich Einbürgerung vorgesehen waren – eine Steigerung von drei auf zehn ist gut.
Aber, ich muss Ihnen sagen, das wird nicht ausreichen. Das wird vielleicht einen Teil von dem Stau, der entstanden ist, aufarbeiten können, aber es wird nicht ausreichen. Deshalb haben wir auch gesagt, im Regulären waren das 16, soweit mir bekannt ist, und wir haben uns da für eine Verdopplung ausgesprochen. Das wäre eigentlich sinnvoller, und das wäre einmal eine Maßnahme, von der man wirklich sagen könnte: Das arbeitet man jetzt alles auf und ermöglicht eine schnellere Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen.
(Beifall DIE LINKE)
Meine Damen und Herren, es wurde jetzt gesagt: „Zusammenhalt stärken, Teilhabe ermöglichen und dem Fachkräftemangel begegnen – Deutschland braucht ein modernes Einbürgerungsrecht!“ Das ist insoweit unterstützenswert. Und ja, es ist wichtig, richtig und vor allem höchste Zeit, diese Ziele in Angriff zu nehmen. Dafür ist die geplante Reformierung des Einbürgerungsrechts ein wichtiger, ein positiver Schritt in die richtige Richtung. Aber das alleine ist noch nicht ausreichend.
Das will ich Ihnen an einem Beispiel erläutern, auch wenn hier jetzt versucht wurde, das Gegenteil darzustellen. Menschen, die seit vielen Jahren hier leben, arbeiten – und das zumeist in Vollzeit und noch zusätzlich mit einem Minijob – und trotzdem aufstocken müssen, können nach wie vor nicht eingebürgert werden, weil sie laut den Bestimmungen, die auch weiterhin erhalten bleiben, nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Diese Menschen können jedoch nicht mehr machen, als zu arbeiten.
(Zuruf Stephan Grüger (SPD))
Die Entlohnung im Niedriglohnsektor, in dem sie arbeiten müssen, ist nicht für den Lebensunterhalt ausreichend. Das ist aber nicht dem Versäumnis, der Schuld oder gar der Faulheit dieser Menschen zu verdanken, sondern der unangemessenen Entlohnung ihrer Arbeit, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE)
Von über 10 Millionen Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind fast 6 Millionen seit mehr als zehn Jahren in Deutschland ansässig. Da wird eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer nicht viel ausrichten, um die Menschen hier dazu zu bewegen, dass sie sich einbürgern lassen. Es sind eben andere Gründe, die einer Einbürgerung im Wege stehen, die eine Einbürgerung verhindern, und diese gilt es zu beheben. Dagegen müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, meine Damen und Herren.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht Deutschland übrigens im hinteren Drittel. Im Durchschnitt wurden in der EU 2 % der jeweiligen im Land lebenden Bevölkerung eingebürgert, in Deutschland nur 1,3 %, meine Damen und Herren.
(Thomas Hering (CDU): Die absoluten Zahlen!)
Sogar angesichts dieser Tatsache wird seit Wochen von „Verramschen“, von Pull-Faktoren und illegaler Zuwanderung in unsere sozialen Systeme schwadroniert und damit von den eigentlichen Problemen abgelenkt, meine Damen und Herren.
(Beifall DIE LINKE – Zuruf Thomas Hering (CDU): „Schwadroniert“, das kennen wir doch irgendwoher!)
Fakt ist, Herr Hering, die Erleichterung der Einbürgerung wird nicht dazu führen, dass nur ein einziger Mensch mehr als Flüchtling zu uns kommt. Denn diese Menschen flüchten vor Krieg und Elend, auf dem unser Wohlstand mitunter auch aufgebaut ist – das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen –, nämlich durch einseitige Wirtschaftsabkommen und Ressourcenausbeutung des globalen Südens. Das sind Pull-Faktoren, Herr Hering, und nicht die Erleichterung der Einbürgerung.
(Zuruf Thomas Hering (CDU))
Meine Damen und Herren, eine Staatsbürgerschaft ist auch an Pflichten geknüpft.
(Zuruf AfD: Oh!)
Die Menschen, um die es hier geht, kommen diesen Pflichten schon nach. Sie müssen es nicht lieben, aber sie kommen ihren Pflichten in diesem Land nach. Daher verstehe ich auch nicht diese unbegründeten Einwände, die ständig von CDU, FDP und AfD vorgebracht werden: erst einmal Integration, dann Einbürgerung. So heißt es doch immer wieder.
(Zuruf Thomas Hering (CDU))
Das verstehe ich nicht. Diese Menschen kommen ihren Pflichten in diesem Land nach. Meine Damen und Herren, das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
(Beifall DIE LINKE – Zuruf Thomas Hering (CDU))
Da muss man halt sagen: Anscheinend möchten Sie dieses leidige Thema der Leitkultur immer wieder aufwärmen, um dann diese inhaltsleere Debatte ins Endlose zu ziehen, sodass eine wirkliche Erleichterung der Einbürgerung niemals Realität werden kann.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Grundgesetz.
(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Genau!)
Wir haben ein Grundgesetz, und alle Menschen sind verpflichtet, sich an dieses zu halten. – Jawohl, Herr Müller, da sind wir uns einig, wie es aussieht.
(Volker Richter (AfD): Das ist schön, wenn sich die LINKEN daran halten!)
Diejenigen, die sich daran halten, sind nicht nur faktisch schon integriert,
(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Ach, du liebe Zeit!) sondern sie sind, wie Sie es nennen würden, bereits gute Staatsbürger, jedoch eben weitestgehend ohne die politischen Rechte, die einem dem Grundgesetz treuen Bürger zustehen. Das ist nicht weiterhin haltbar, meine Damen und Herren.
Die erdrückende Mehrheit der in diesem Land lebenden migrantischen Menschen ist grundgesetztreu, auch wenn in dieser Debatte immer wieder versucht wird, das anders hinzustellen. Hören Sie also endlich damit auf, diese Menschen als integrationsunwillig oder gar als potenzielle Gefahr für die Gesellschaft, für den gesellschaftlichen Frieden darzustellen.
(Beifall DIE LINKE)
Es wird immer über Pull-Faktoren gesprochen. Lassen Sie uns doch einmal über die Push-Faktoren reden, nämlich über diejenigen, die die Menschen davon abhalten, sich einbürgern zu lassen. Einer der wichtigsten dieser Faktoren ist nämlich, wie die politische Debatte über dieses Thema geführt wird. Menschen aufgrund ihrer kulturell-ethnischen Abstammung über einen Kamm zu scheren und sie per se als integrationsunwillig darzustellen, ist einer dieser Faktoren, die diesen Menschen das Zugehörigkeitsgefühl verwehren und welche sie vielleicht auch davon abhalten, diesen Antrag zu stellen. Genau hierdurch verliert die Gesellschaft viele produktive und kreative Menschen. Dies ist der Begegnung des Fachkräftemangels sicherlich nicht zuträglich.
Meine Damen und Herren: Einbürgerung? – Ja. Hier und da auch das Anwerben aus dem Ausland? – Von mir aus. Aber viel wichtiger sind eine sozial gerechte Bildungs- und Ausbildungspolitik sowie geeignete Qualifikations- und Nachqualifikationsmaßnahmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Ich glaube, da haben wir auch noch sehr viel Entwicklungspotenzial. Das gehört aber zum Methodenmix unbedingt dazu. Es müssen endlich auch diese geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um das hiesige Fachkräftepotenzial zu aktivieren und darauf zurückzugreifen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall DIE LINKE)