Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

SPD-Große Anfrage: Umsetzungsstand inklusiver Beschulung

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberBildung

Rede von Gabi Faulhaber am 01.Februar 2018 im Hessischen Landtag

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die Inklusion ist eine der zentralen Aufgaben im Schulsystem. Seit 30 Jahren wird in Hessen experimentiert, und das nicht immer mit gutem Erfolg. Gute Ansatze wurden wieder eingestampft – ich erinnere an den gemeinsamen Unterricht –, und ein flächendeckendes verbindliches Inklusionskonzept steht noch immer aus.

Was die Große Anfrage der SPD deutlich macht, sind vor allem drei Dinge: Erstens. Die Investitionen in ein inklusives Schulsystem werden immer weiter zurückgefahren, und der
Trend ist ungebrochen. Deutlich wird dies z. B. in der Antwort auf Frage 91. Dort sind die für den Bereich Fachberatung Sonderpädagogische Förderung zur Verfügung gestellten Stellen pro Schulamtsbezirk aufgezeigt. Und was sehen wir? – Zum Schuljahr 2016/2017 wurden die Stellen pro Schulamtsbezirk mehr als halbiert.

Noch deutlicher wird es allerdings, wenn man sich die Antwort auf Frage 221 ansieht. Ich zitiere: Wie in der Vorbemerkung ausgeführt, ist die sonderpädagogische Förderung neben der individuellen Förderung der allgemeinen Schule eine ergänzende, zusätzliche Unterstützung. Sie erfolgt nicht pauschal, sondern im Einzelfall bemessen anhand – nun kommt es – der zur Verfügung stehenden Ressourcen …

Meine Damen und Herren, das zeigt genau das, was wir immer sagen: Sie betreiben Inklusion als Sparprogramm. Wissen Sie, wie die Antwort lauten müsste, wenn das Kultusministerium es mit der Umsetzung der Inklusion erst meinen würde? – Dann müsste es heißen „Die Unterstützung erfolgt nicht pauschal, sondern im Einzelfall bemessen anhand des ermittelten Bedarfs.“

Zweitens. Inklusion ist nach wie vor nicht für alle Schulen ein Thema. Beispielsweise bleiben die Gymnasien außen vor. Das sieht man etwa in der Lehrerbildung, in der das Modul „Diversität in Lehr- und Lernprozessen nutzen“ für alle Schulformen, nur nicht für das Gymnasium angeboten wird. Man sieht es aber vor allen an den Zahlen zum Übergang an ein berufliches Gymnasium oder eine gymnasiale Oberstufe aus einer Förderschule heraus – und diese Zahlen sind alarmierend. Im Schuljahr 2013/2014 gab es 24.419 Förderschülerinnen und Förderschüler, und es gab sechs Übergänge in die Sekundarstufe II.

Es wird noch schlimmer. Im Schuljahr 2014/2015 gab es 24.015 Förderschülerinnen und Förderschüler in Hessen, die Anzahl der Übergänge in eine gymnasiale Oberstufe oder ein berufliches Gymnasium betrug null. Letztes Schuljahr gaben Sie die Anzahl der Förderschülerinnen und Förderschüler in Hessen mit 22.160 an, die Anzahl der Übergänge betrug 4. Oder, um es mit den Worten des Kultusministers zu sagen: Die Ermittlung von Gelingensbedingungen für inklusive Beschulung an Gymnasien ist kein Ziel
oder Teilziel des hessischen Aktionsplans. Nachzulesen auf Seite 26.

Meine Damen und Herren, da kann doch grundsätzlich irgendetwas überhaupt nicht stimmen. Erzählen Sie mir anhand dieser Zahlen doch bitte nicht noch einmal etwas von gelungener Inklusion und vorhandener Durchlässigkeit des Schulsystems. Das ist geradezu atemberaubend.

Drittens. Die inklusiven Schulbündnisse sind weitere Mogelpackungen aus dem Kultusministerium. Das wird sehr schön in der Antwort auf die Frage 215 deutlich: Welche sind die Merkmale eines flächendeckenden inklusiven Unterrichts? Da lautet die Antwort:
Der flächendeckende inklusive Unterricht wird hessenweit organisatorisch über die Einführung der inklusiven Schulbündnisse erreicht. Da weiß ich wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Die inklusiven Schulbündnisse sind erst einmal nicht viel mehr als eine Bündelung von Ressourcen an einem Ort und eben nicht wohnortnahe inklusive Beschulung. Diese Schulbündnisse sorgen für flächendeckende Inklusion? Meinen Sie das ernst? Diesen Schulen werden Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf oder mit einem Förderschwerpunkt zugewiesen, und die Kinder müssen wie eh und je zu dieser Schule fahren, genau wie früher bei den Förderschulen, und werden eben nicht zusammen mit ihren Freunden und Nachbarkindern unterrichtet. Das übertünchen Sie immer, und das ist Augenwischerei.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

– Ich habe Sie nicht verstanden, aber zu Ihnen wollte ich gerade etwas sagen. Frau Ravensburg, was ist es anderes als eine Schwerpunktschule, wenn es eine Schule ist, zu der alle Schüler hinfahren, um dort in einer Schule, die sich auf bestimmte Förderschwerpunkte spezialisiert hat – das stellen Sie sich ja so vor –, unterrichtet zu werden? Das ist eine Schwerpunktschule. Sie benutzen ein anderes Wort, aber es nicht Inklusion drin, wo Inklusion draufsteht. Es ist Schwerpunktschule drin, wo Inklusion draufsteht.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Der Grundgedanke der Schulbündnisse ist schon grundsätzlich falsch. Eine Konstruktion wie Schwerpunktschulen kann nicht inklusiv sein. Das ist logisch: Exklusion schließt Inklusion notwendigerweise aus.

(Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

– Manchmal muss man es fünfmal sagen, sonst kommt es nicht an. Aber ich weiß, es ist nichts, was mit Verstehen zu tun hat. Es hat etwas mit Ideologie zu tun, und Ihr Bild von Menschen und Menschen mit Behinderungen ist ein anderes als meines. So sieht die Welt aus.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Das weiß ich, und deswegen sage ich das auch.

(Armin Schwarz (CDU): Damit wird es nicht besser!)

Dabei könnte man Inklusion tatsächlich angehen. Dafür muss als Erstes der Ressourcenvorbehalt fallen; das ist das A und O. Denn neue Aufgaben bedürfen neuer Mittel. Dann es ist möglich. Das kann man sehen, wenn man nach anderen Bundesländern schaut. In Bremen gibt es die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen nicht mehr. Alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden inklusiv unterrichtet.

Dann sagen Sie immer, Bremen ist eine Stadt. Dann nehmen wir ein Flächenland: Niedersachsen. Dort sind die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen im Primarbereich bereits ausgelaufen. Jetzt steht das Auslaufen dieser Schulform in der Sekundarstufe I an. Dann kann man noch Hamburg nehmen. Aber das erspare ich mir jetzt.

Es gibt also bereits Beispiele, die man sich ansehen kann, und wir haben es in den vergangenen Jahren immer eingefordert, dass man von jemand anderem etwas lernt. Irgendwie geht es woanders, und hier in Hessen geht es nicht. Da müsste man eigentlich einmal etwas lernen.

(Kurt Wiegel (CDU): Vielleicht ist es hier besser!)

Sie verteidigen lieber ein ungerechtes und unsoziales Schulsystem, das von vorneherein die Kinder begünstigt, die in die Norm passen und aus den so genannten guten Elternhäusern stammen. Da würde ich Ihnen vorschlagen: Lesen Sie noch einmal die UN-Behindertenrechtskonvention. Dort wird der Aufbau eines inklusiven Schulsystems als unverrückbares Menschenrecht gefordert. Von inklusiven Schulbündnissen und Ressourcenvorbehalten steht dort nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die CDU die Konvention nicht liest, erscheint mir noch irgendwie nachvollziehbar. Die haben so ein Bild. Das haben wir gerade wieder gehört. Aber diese UN-Konvention ist doch eine originär grüne Konvention. Ich frage also Sie von den GRÜNEN: Sind inklusive Schulbündnisse, Ressourcenvorbehalte und der Schulterschluss mit der CDU eine erfolgreiche grüne Bildungspolitik? Das müsste mir jemand beantworten. Ich verstehe nicht, wie man so ein Bündnis machen kann.

(Beifall bei der LINKEN)