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Rede

Torsten Felstehausen: Grundrechte schützen - schwarzgrünes Versammlungsgesetz stoppen

Torsten Felstehausen: Grundrechte schützen - schwarzgrünes Versammlungsgesetz stoppen

Torsten FelstehausenInnenpolitikJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 130. Plenarsitzung am 21. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Hessischen Versammlungsgesetz. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Versammlungsfreiheitsgesetz – was für ein Euphemismus für ein Gesetz, mit dem die Hessische Landesregierung, mit dem Schwarz-Grün versucht, das Versammlungsrecht in Hessen in wesentlichen Teilen zu beschränken.

In der Anhörung, die dazu stattgefunden hat, sind deutliche Worte gefallen. Lieber Lukas Schauder, vielleicht sollte man nicht nur die ersten zwei Zeilen einer Stellungnahme vorlesen, sondern dann auch so konsequent sein, die Kritikpunkte zu nennen, die danach gekommen sind.

(Beifall DIE LINKE)

Es wurde dann gesagt: Im Grunde genommen ist es gut, aber …

(Zuruf Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das würde zur Wahrheit dazugehören. In der Anhörung wurden angesichts des geplanten Grundrechtseingriffs, der dort stattfindet, sehr viele deutliche Worte gefunden, und das ist auch gut so.

(Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche denn?)

Am deutlichsten formulierte es das Komitee für Grundrechte und Demokratie und bezeichnete Ihre Gesetzesvorlage als „einen in Schriftform gegossenen Freifahrtschein für Videobeobachtung und -aufzeichnung für die Polizei“.

Meine Damen und Herren, die vielfältigen Demonstrationen der letzten Tage gegen eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes zeigen deutlich, dass viele Gruppen – vom DGB über Umweltgruppen bis zu Bürgerrechtsinitiativen – zu Recht befürchten, dass es nicht der gute Wille ist, der hinter diesem Gesetzentwurf steht, sondern der Wunsch, Versammlungen und ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer kontrollierbarer und gläserner zu machen.

Die Kritik daran haben wir bereits in der ersten Lesung angemeldet, und die Anhörung der Expertinnen und Experten hat uns noch einmal bestätigt. Ich will auf ein paar Punkte eingehen, die dabei für uns besonders wichtig sind.

Niemand hier im Haus hat ein Interesse – „niemand“ will ich vielleicht nicht sagen; fünf Fraktionen hier im Haus – an Aufmärschen von Neonazis mit Fackeln oder Ähnlichem.

(Dirk Gaw (AfD): Alle außer Ihnen! – Robert Lambrou (AfD): Eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe)

Aber das, was hier von Schwarz-Grün als Argument angeführt wird – zur Verhinderung militanter Neonazi-Aufmärsche –, wird in der Anwendung dann völlig anders aussehen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus der Praxis geben: So wurden 58 Anhänger der SG Dynamo verurteilt,

(Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach dem Bundes-Versammlungsgesetz ist das möglich!)

weil sie im Mai 2017 an einem Fanmarsch teilgenommen haben, mit 1.500 Fans in gleichen T-Shirts und gleichen Hüten. Da ist natürlich die Frage berechtigt, wann eine solche Rechtsprechung, für die Sie hier Tür und Tor öffnen, auch bei Streikversammlungen, bei Demonstrationen mit lila Halstüchern oder mit Maleranzügen zuschlagen wird.

Ihr Gesetz ist derart schwammig und von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt, dass es in das Belieben der Einsatzleitung vor Ort gestellt wird,

(Beifall DIE LINKE – Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man doch nicht ignorieren!)

was als einschüchternd erlebt wird und was als Grundlage für ein Verbot gelten kann.

Als LINKE sagen wir da sehr klar und sehr eindeutig: Wie eine Versammlung organisiert wird, ob sie bunt oder einfarbig ist, ob mit Hüten oder Röcken, ist allein Sache der Veranstalterinnen und Veranstalter. Hier darf es keinen Ermessensspielraum und keine Einflussnahme des Staates geben.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will Ihnen auch sagen, warum wir an dieser Stelle so eindeutig sind: Genau diese Staatsferne von Versammlungen macht die demokratische Urgewalt von Versammlungen aus.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1985 wichtige Leitplanken zum Versammlungsrecht definiert, und die werden wir auch hier in Hessen nicht einfach über Bord werfen dürfen. Das Versammlungsrecht soll eben nicht die Mehrheitsmeinung schützen, sondern insbesondere die Meinungen von Minderheiten, von denjenigen, die nicht in der Regierung sitzen. Um das noch einmal deutlich zu machen, hier der Leitsatz der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts von 1985:

Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. (Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, an genau diese Freiheitsrechte legen Sie die Axt an. Ihr Gesetzentwurf ist zutiefst geprägt von Misstrauen und einem Generalverdacht gegen alle, die sich kritisch zur Macht der Mächtigen äußern wollen.

Bereits vor der eigentlichen Versammlung ermächtigen Sie die Polizei, mit stationären und mobilen Vorfeldkontrollen Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer durchsuchen zu können. Die Videoüberwachung bei Versammlungen wollen Sie ausweiten und damit de facto zur Regel machen.

Lassen Sie mich noch einmal zu dem viel besprochenen sogenannten Vermummungsverbot kommen. Es gibt viele gute Gründe, bei Versammlungen nicht sofort für Außenstehende erkennbar zu sein. Wir haben erlebt, wie Neonazis immer wieder sogenannte Todeslisten angelegt haben, in denen sie vermerken, wer wann gegen sie demonstriert hat.

Wir kennen die Arbeitsweise der Geheimdienste – ob es die Chinesen sind, die die Uiguren mit Repressionen überziehen, oder ob es der iranische Geheimdienst ist, der protestierende Frauen und Männer auch in Deutschland systematisch erfasst, um im Heimatland Druck auf Familienangehörige auszuüben. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Sie aber setzen Gesichtsmasken, Bärte, Hüte, Pappnasen und Ähnliches mit Gewalt gleich. Das ist für uns eine vollkommen unzulässige Verallgemeinerung.

(Beifall DIE LINKE)

Diese und weitere Kritikpunkte wurden von den Expertinnen und Experten, wurden von uns und vielen anderen in den letzten Wochen immer wieder vorgetragen, ohne dass Sie sie auch nur annähernd ernst genommen hätten. Sie sind vollkommen beratungsresistent an dieser Stelle.

Deshalb werden wir auch nicht beantragen, in eine dritte Lesung zu gehen. Wir haben in Hessen eine Institution, die das letztendlich entscheiden wird, und diese werden wir selbstverständlich anrufen. Wir bereiten eine Klage vor dem Staatsgerichtshof vor.

(Beifall DIE LINKE)

Denn wir sind sicher, und die Vergangenheit hat es gezeigt: Ihre Gesetzgebung in der Sicherheitspolitik ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Staatsgerichtshof – egal ob es das Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes ist oder das Gesetz zur Änderung der sicherheitsrechtlichen Vorschriften, oder jetzt das Versammlungsgesetz.

Wenn Sie hier nicht zur Einsicht kommen, wenn Sie den Argumenten nicht zugänglich sind, dann muss eben wieder der Staatsgerichtshof Ihre völlig überzogenen Sicherheitsvorstellungen korrigieren.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen: Es wäre schön gewesen, wenn Sie an der einen oder anderen Stelle tatsächlich auch einmal dafür gesorgt hätten, dass demonstrationsfreundliche Regelungen in dieses Gesetz aufgenommen worden wären. Aber da haben Sie, insbesondere Sie von den GRÜNEN, sich völlig der Marschroute der CDU unterworfen.

Ich möchte an dieser Stelle einen einzigen Punkt ansprechen.

Präsidentin Astrid Wallmann:

Bitte, Herr Felstehausen, kommen Sie aber auch zum Ende.

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Das werde ich tun, Frau Präsidentin. – Dieser letzte Punkt: Warum haben Sie nicht dafür gesorgt, dass es eine Verpflichtung der Anmeldebehörden gibt, Auflagenbescheide unverzüglich zu erlassen,

(Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht wörtlich in dem Entwurf! Lesen Sie es nach!)

damit die Menschen, die Veranstaltungen anmelden, dann auch tatsächlich die Rechtsmittelfähigkeit haben?

Das alles sind Punkte, aber wir werden heute nicht mehr darüber einig werden. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du hast es noch nicht einmal gelesen! – Unruhe)