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Rede

Torsten Felstehausen - Hessische Sicherheitspolitik unter Peter Beuth: Mehr Schein als Sein

Torsten FelstehausenInnenpolitik

In seiner 130. Plenarsitzung am 21. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag anlässlich einer Regierungserklärung des Innenministers Peter Beuth (CDU). Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Ja, es war zu erwarten. Der Innenminister stellt seine Statistik vor, lobt sich über den grünen Klee, aber die Datengrundlage wird erst auf intensives Nachfragen hin und dann auch nur redaktionell überarbeitet als Zusammenfassung herausgegeben. Herr Innenminister, nein, so kann und so darf man nicht seriös über hessische Sicherheitspolitik diskutieren. Es reicht nicht, wenn Sie uns eine Zusammenfassung geben. Wenn wir die Daten und Fakten wirklich bewerten wollen, dann müssen Sie auch die Statistik in Gänze vorlegen.

Aber wir sprechen hier also über gefühlte Zahlen genauso wie über gefühlte Sicherheit, von der Sie, Herr Innenminister, behaupten, sich ganz besonders darum zu kümmern. Die Verwendung des Begriffs „gefühlte Sicherheit“ ist aber eben nicht evidenzbasiert und in der vorgetragenen pauschalen Art keine verwertbare Kategorie in der Kriminalistik. Sie weisen weder die Prävalenz noch die Inzidenzraten der Viktimisierung aus. Sie fragen nicht, ob sich Menschen unsicher fühlen oder tatsächlich von Kriminalität bedroht sind.

Meine Damen und Herren, wir wissen doch alle, dass sich Menschen nachts allein im Wald unsicher fühlen. Gleichzeitig wissen wir doch aber auch, dass dort die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden, verschwindend gering ist. Wenn wir jetzt dieses Gefühl von Unsicherheit zum Maßstab des polizeilichen Handels machen würden, müssten wir nachts unsere Einsatzkräfte allesamt in den Wald schicken, um das Unsicherheitsgefühl zu bekämpfen. So kann doch eine vernünftige Sicherheitspolitik nicht funktionieren.

(Beifall DIE LINKE)

Dieses Beispiel zeigt, die gefühlte Sicherheit eignet sich vielleicht für eine populistische Rede auf einem CDU-Parteitag, aber nicht als Grundlage einer seriösen Diskussion über Kriminalität und deren Folgen. Auch Ihr Ansatz, den Sie faktenbasiert nennen, führt uns doch in die Irre. Sie berichten hier, wie viele angezeigte Straftaten der Staatsanwaltschaft übergeben wurden. Zwei der wichtigsten Fragen lassen Sie mit Ihrer Statistik allerdings völlig aus:

Erstens. Welche Straftaten werden überhaupt angezeigt und fließen in die Statistik ein?

Zweitens. Wie geht es eigentlich nach der polizeilichen Ermittlung weiter? Werden die Täterinnen und Täter am Ende tatsächlich verurteilt?

Ich weiß, jetzt werden Sie sagen, Herr Minister – Sie sind noch beschäftigt, ich warte kurz –: Dafür bin ich nicht zuständig. – Wenn wir aber über Sicherheit sprechen, gehören diese beiden Punkte mit in die Diskussion.

Wir wissen doch: Viele Straftaten werden der Polizei überhaupt nicht zur Anzeige gebracht, weil man meint, die Polizei könne sowieso nicht helfen, weil man Angst vor einer fortgesetzten Bedrohung durch die Täterinnen und Täter hat oder weil man vermutet, keine ausreichenden Beweise zu haben. Das Anzeigeverhalten und damit die polizeiliche Wahrnehmung sind entscheidend von der Motivation der Opfer geprägt. Während es z. B. bei Sachbeschädigungsdelikten, die durch eine Versicherung reguliert werden, fast immer zu einer Strafanzeige kommt, da dies die Voraussetzung für die Schadensregulierung ist, gibt es viele Deliktsbereiche, die nur in einem sehr geringen Maße der polizeilichen Kenntnis zugewandt sind.

Nach einer aktuell vorgestellten Untersuchung „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ des Bundeskriminalamtes und der Polizeien der Länder sind fast 14 % der Bevölkerung ab 16 Jahren in den zwölf Monaten vor der Befragung Opfer von Cybercrime geworden. Dabei handelte es sich in den meisten Fällen um Waren- oder Dienstleistungsbetrug oder den Missbrauch persönlicher Daten. Meine Damen und Herren, das ist die höchste Opferquote im Vergleich zu anderen Kriminalitätsfeldern, aber nur 18 % der Straftaten in diesem Bereich werden überhaupt angezeigt. Das heißt, 82 % dieser Kriminalität blendet Ihre anzeigenfixierte Statistik völlig aus. Ihre Reaktion? Fast unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Meine Damen und Herren, noch gravierender ist das Problem bei Sexualstraftaten, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind. Aus den verschiedensten Gründen wird nur 1 % der Taten polizeibekannt. Der Rest ist im Dunkelfeld und wird auch von Ihrem Report deshalb überhaupt nicht erwähnt. Deshalb fordert DIE LINKE seit Langem: Schauen Sie nicht nur dorthin, wo Sie vermeintlich im Scheinwerferlicht stehen, Herr Beuth. Kümmern Sie sich endlich um dieses Dunkelfeld.

(Beifall DIE LINKE)

Denn jede dieser Straftaten ist ein Anschlag auf die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Mit einer Statistik, die auf diesen Phänomenbereich kaum eingeht, verstärken Sie die Opferrolle der Frauen. Ja, dazu passt, dass in Hessen bis heute der Begriff Femizid nicht Bestandteil Ihrer Polizeilichen Kriminalstatistik ist. Im besten Fall heißt es dort: Beziehungstat.

Meine Damen und Herren, im Schnitt stirbt in Deutschland fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder ihres Ex-Partners. Allein 2023 sind in Hessen schon drei vollendete Femizide registriert worden: in Frankenau, in Büdingen und in Neukirchen. Von diesen Femiziden hier zu schweigen, dazu kann ich nur sagen: Das ist wirklich beschämend.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wenn wir Taten nicht nur dokumentieren, sondern tatsächlich verhindern wollen, dann müssen wir uns mit den Ursachen und den Hintergründen dieser Taten beschäftigen. Nur so wird es gelingen, wie es im Polizei-Sprech heißt, vor die Lage zu kommen. Präventionsprogramme aufzulegen und tatsächlichen Schutz für die Opfer zu organisieren, das wäre die vordringliche Aufgabe, aber nicht Zahlen zu präsentieren, die kaum eine Aussagewirkung haben.

(Beifall DIE LINKE)

Jedes zweite Opfer von Körperverletzung vermutet nach der Studie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“, die ich vorhin zitiert habe, wegen gruppenbezogener Vorurteile angegriffen worden zu sein. Vorurteilskriminalität umfasst Straftaten, bei denen der Täter oder die Täterin das Opfer aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ausgewählt hat. Die Gruppenzugehörigkeit des Opfers kann sich beispielsweise auf dessen Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung beziehen.

Diese Bedingungen und Hintergründe der Taten werden in der Statistik aber überhaupt nicht erfasst, sondern ausgeblendet. Ob es sich bei der Straftat um ein Delikt mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit handelt, wird aber nur bekannt, wenn auch tatsächlich danach gefragt wird. So verschwinden Antisemitismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Transfeindlichkeit und alle anderen gruppenbezogenen Hintergründe aus dem öffentlichen Bewusstsein. Herr Innenminister, Ihre Aufgabe wäre es aber, genau diese Hintergründe zu benennen. Mit ein paar Seiten unterkomplexer Grafiken kommen wir hier nicht weiter.

Natürlich ist auch hier die fehlende Diversität innerhalb der Polizei ein Problem. Ob ich Diskriminierung wahrnehme, hängt entscheidend von meinem eigenen sozialen Status ab. Zwar ist die Anzahl der Polizisten in den vergangenen Jahren gestiegen, aber sie ist weit entfernt davon, die gesellschaftliche Realität abzubilden.

Auch wenn ich in vielen Punkten der Bundesinnenministerin nicht zustimme, in ihrer Analyse kann ich nur zustimmen. Sie sagte: Wir brauchen mehr Diversität in der Polizei, sie sollte ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Vielfalt sein. – Hier hat Hessen nach wie vor einen gravierenden Nachholbedarf. Es kommt eben nicht nur auf die reine Qualität an. Wir brauchen eben auch eine Polizei, der alle Menschen, die in Hessen leben, vertrauen können.

(Beifall DIE LINKE)

Der Innenminister lobt sich besonders für seinen Kampf gegen rechte Gewalt und rechtsmotivierte Straftaten. Der Druck – Zitat – sei „hochgehalten“ worden, und mit der BAO Hessen R würde ein „Schwerpunkt auf die Verfolgung rechter Straftaten gelegt“.

(Zuruf AfD: Oder linke! Das wäre besser!)

Schauen wir uns doch einmal die Kriminalitätsstatistik an. Wir stellen fest, dass die PMK-rechts seit 2017 von 602 auf über 1.100 Straftaten, also um 82 %, gestiegen ist. Die Straftaten, die Sie angeblich nicht zuordnen können – Querdenker und dergleichen –, haben sich im gleichen Zeitraum fast verdoppelt.

Herr Innenminister, Sie betonen, dass Sie mit der BAO Hessen R eine vorbildliche Arbeit bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus leisten würden, dass es sich bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus sogar um einen von zwei Schwerpunkten der hessischen Kriminalitätsbekämpfung handeln würde. Aber sowohl die Zahl der Straftaten insgesamt im Bereich PMK-rechts als auch die Zahl der rechten Gewalttaten steigen seit Jahren.

Meine Damen und Herren, dafür kann es doch nur zwei Erklärungen geben: Entweder die Arbeit der Sicherheitsbehörden fruchtet nicht, und Hessen tut immer noch nicht genug für den Kampf gegen rechts; oder durch das genauere Hinschauen der Behörden werden jetzt Straftaten erfasst, die früher übersehen worden sind, weil man in der Vergangenheit auf dem rechten Auge blind war.

Da muss doch die Frage erlaubt sein, wie Sie diese Fallzahlen als Erfolg verkaufen wollen. Zu den Ursachen und Hintergründen des Anstiegs ist vom Innenminister aber nichts zu hören. Stattdessen bleiben Sie bei Ihrer Hufeisentheorie und verharmlosen mit diesem Extremismusbegriff die tatsächliche Gefahr von rechts.

Während die CDU junge Menschen, die sich für einen konsequenten Klimaschutz einsetzen, in die Nähe von Terroristen rücken, ja, sogar den Verfassungsschutz ins Spiel bringen will, setzen Sie in Ihrer Präsentation diese Menschen mit Reichsbürgern gleich, den Reichsbürgern, denen gleichzeitig eine hohe Gewaltaffinität bescheinigt wird, die rechtsextremistisch in Erscheinung treten und einen gewaltsamen Umsturz planen.

Herr Innenminister, Sie sind so stolz auf Ihr KOMPASSProgramm, aber in dieser Frage scheint Ihr Kompass vollkommen gestört zu sein.

(Beifall DIE LINKE)

Die Kriminellen sitzen nämlich in den fossilen Konzernzentralen und kleben nicht auf den Straßen. Da sollten Sie doch einmal hinschauen.

Meine Damen und Herren, rechten Tendenzen etwas entgegenzusetzen bedeutet auch der konsequente Kampf gegen rechtes Gedankengut innerhalb der Polizei.

Herr Innenminister, Sie berichten regelmäßig im Innenausschuss über rechte Vorfälle innerhalb der Polizeibehörden. Hessen ist unter Ihrem Ministeramt zu einem bundesweiten Negativbeispiel geworden. Es wäre aber Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Polizei als Ganzes über jeden Zweifel erhaben ist. Wie sollen denn Menschen mit Rassismuserfahrung, Menschen, die von rechter Gewalt bedroht werden, wie sollen denn diese Menschen Vertrauen in eine Polizei fassen können, in der übelste antisemitische Hetze verbreitet wird, in der rassistische Einstellungen so lange verborgen bleiben und es zum Schluss bei der straf- und dienstrechtlichen Sanktionierung erhebliche Vollzugsdefizite gibt? Meine Damen und Herren, das trägt zum Misstrauen gegen unsere Polizei bei.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE)

Hier braucht es eine Führungs- und Fehlerkultur sowie eine Vorbildfunktion. Hier braucht es einen Paradigmenwechsel. Dieser muss ganz oben beginnen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn in der Regierungserklärung von Dank und Anerkennung gegenüber der Polizei gesprochen wird, dann fällt auf, dass Sie diese Vokabeln immer in Ihren Sonntagsreden verwenden. Aber bei der Frage, was im Alltag in den Polizeirevieren davon ankommt, können wir oftmals nur Fehlanzeige feststellen.

Die Fürsorge des Dienstherrn bedeutet auch, sich um eine angemessene Bezahlung zu kümmern, die nicht erst durch ein Verfassungsgericht eingeklagt werden muss. Fürsorge für die Polizei bedeutet auch, nicht die Polizistinnen und Polizisten bis zu ihrem 51. Lebensjahr 42 Stunden pro Woche arbeiten zu lassen, und dies in Wechselschichten. Fürsorge bedeutet letztendlich auch, sich für die Besetzung des Bürger- und Polizeibeauftragten starkzumachen, anstatt weiter Papiertiger zu präsentieren. Das wären Ihre Aufgaben, wenn Dank und Anerkennung nicht nur sonntags gezollt werden sollten und nicht nur vom Balkon geklatscht wird, sondern wenn sich tatsächlich in der Praxis für die Polizistinnen und Polizisten etwas zum Positiven ändern soll.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, mit solchen Rahmenbedingungen, wie wir sie zurzeit vorfinden, werden wir es nicht schaffen, den Polizeidienst für junge Menschen wirklich attraktiv zu machen. Gute Arbeitsbedingungen sind aber Voraussetzung für eine gute Polizeiarbeit; denn Sicherheit entsteht doch nicht durch immer neue Technik, durch mehr Videoüberwachung, durch neue Sicherheitsgesetze, sondern durch die Menschen, die täglich auf der Straße ansprechbar sind. Sicherheit entsteht durch Menschen, denen ihr Beruf auch morgen noch Spaß macht, von dem sie leben können und den sie auch mitgestalten können in demokratischen Verfahren. Davon ist Hessen so weit entfernt wie die CDU von den LINKEN. – Vielen Dank für Ihr Zuhören.

(Beifall DIE LINKE)