Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Torsten Felstehausen zur Förderung der dualen Ausbildung

Torsten FelstehausenDigitalisierung

In seiner 110. Plenarsitzung am 13. Juli 2022 diskutierte der Hessische Landtag das neue Landesprogramm „Deine Zukunft #REAL:DIGITAL“ zur Förderung der beruflichen Orientierung an Schulen. Dazu die Rede unseres digitalpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, liebe Besucherinnen und Besucher! Es freut mich, dass da oben wieder Betrieb ist, dass wieder Leute zuhören. Das macht das Ganze für uns auch etwas herausfordernder, gerade heute zu diesem Thema. Denn heute sitzen dort oben Expertinnen und Experten, wenn es darum geht, wie Bildung wahrgenommen wird und was am Ende ankommt.

Meine Damen und Herren, gute Politik macht man mit guter Umsetzung, nicht mit der Veröffentlichung von Selbstverständlichkeiten und reinen Ankündigungen. Wir haben es heute Morgen erlebt, als wir über Streuobstwiesen diskutiert haben. Das war wie jetzt geprägt von Lobhudelei und einer Darstellung alter Ideen, sozusagen alter Äppelwoi in neuen Schläuchen. Aber substanziell ist auch bei diesem Setzpunkt nichts zu finden, von dem man sagt, dass uns das nach vorne bringt.

Deshalb sagen wir: Das ist keine gute Politik, die Sie hier machen. Das ist kein guter Setzpunkt, den Sie gewählt haben. Was Sie hier betreiben, ist reine Selbstbeweihräucherung.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei gäbe es für uns alle, die wir uns eine Stunde Zeit für einen Setzpunkt nehmen, so viel, über das wir diskutieren könnten, wenn es um Digitalisierung und Bildungspolitik geht.

(Holger Bellino (CDU): Dann kommen Sie doch einmal damit! Machen Sie einen Setzpunkt dazu!)

– Wunderbar, ich fange einfach einmal an. Ich habe ja zehn Minuten. Ich erzähle Ihnen ein paar Sachen, worüber wir uns bei diesem Setzpunkt unterhalten würden. Das wäre doch etwas.

Wie wäre es, wenn wir uns über den Sanierungsstau in Schulen und Hochschulen unterhalten würden? Wie wäre es, wenn wir uns über Unterrichtsausfall unterhalten würden, der heute den Schulalltag zu einer Art Lückentest macht? Wir wäre es, wenn wir uns über die Tatsache unterhalten würden, dass in Hessen der Bildungserfolg immer noch ursächlich vom Einkommen der Eltern abhängt, oder über die stümperhafte Umsetzung einer Digitalstrategie in der Corona-Zeit, wo wir so schmerzhaft erlebt haben, was alles im Argen liegt und was bis heute nicht verbessert worden ist?

Meine Damen und Herren, Sie haben uns gerade aufgefordert, dazu etwas zu sagen. Ich glaube ganz ernsthaft, zehn Minuten eines Setzpunktes würden nicht reichen, um all die Versäumnisse der Hessischen Landesregierung im Bereich Bildung und Digitales auch nur annähernd vollständig aufzuzählen.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt kommt die CDU mit diesem Setzpunkt um die Ecke: „Deine Zukunft #REAL:DIGITAL“. Aber was haben wir in diesen knappen vier Punkten zu finden? Die Punkte 1 bis 3 strotzen nur so vor Gemeinplätzen. Okay, fangen wir einmal an.

Die duale Ausbildung sei wichtig. Da frage ich einmal: Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da sind wir uns einig. Wunderbar.

Der zweite Punkt: Die berufliche Orientierung soll gefördert werden. Gibt es irgendjemanden, der das in Abrede stellt? – Ich sehe keinen. Danke schön.

Der dritte Punkt. Sie teilen uns in Ihrem Antrag mit – jetzt einmal zuhören –, die Arbeitswelt sei in einem steten Veränderungsprozess. Meine Damen und Herren, was für eine Erkenntnis präsentieren Sie uns hier? Drei Punkte Gemeinplätze, ohne dass es dabei irgendeine Form von politischem Mehrwert gibt.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt wird es spannend. Wir kommen zum letzten Punkt. Man sollte hoffen, dass jetzt tatsächlich etwas hinsichtlich dessen passiert, wie auf die vielfältigen Probleme, vor denen wir bei der Bildung und der Digitalisierung stehen, eingegangen werden kann. Es geht darum, wie Sie als die regierungstragenden Fraktionen das Problem eigentlich lösen wollen. Aber mit dem Finale des Antrags kommen wir auch zu der finalen Enttäuschung. Es gibt einen Bus, der eine Doppelstunde Digitales anbietet. Das sind also 90 Minuten. Für Christoph Degen war das, vielen Dank, eine Rechenaufgabe. Er schaut alle acht Jahre bzw. alle 25 Jahre einmal irgendwo vorbei, und zwar als freiwilliges Angebot.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Herr Felstehausen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Ich lasse die Zwischenfrage zu!)

Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Felstehausen, vielen Dank für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. – Finden Sie eigentlich, dass es ein guter Stil ist, die Punkte so darzustellen, wie Sie es getan haben, obwohl Sie wissen, dass das so gar nicht stimmt? Punkt 1 beinhaltet beispielsweise eine Aussage dazu, wie der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte weiterentwickelt werden soll. Sie verschweigen das hier und behaupten, das seien nur Allgemeinplätze.

Finden Sie, das ist ein guter Stil?

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Ja, ich finde, das ist ein guter Stil. Das ist Ihrem Entschließungsantrag auch angemessen. Denn mehr steht da tatsächlich nicht.

Den Besucherinnen und Besuchern rate ich: Schauen Sie einfach einmal in das Landtagsinformationssystem. Lesen Sie sich den Entschließungsantrag durch. Bilden Sie sich selbst eine Meinung.

(Zurufe Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Ich habe Ihre Zwischenfrage zugelassen. Seien Sie doch jetzt so fair, und setzen Sie sich mit meiner Antwort auseinander.

Mit dem letzten Punkt kommt dann die finale Enttäuschung. Da war ich stehen geblieben. Die Digitalisierung wird irgendwo zwischen Gesundheit, Wirtschaft, Mobilität und Energie angesiedelt. Das kann doch nicht wirklich Ihre Antwort auf unsere Bildungskrise sein.

(Beifall DIE LINKE)

Sie reden im Plenarsaal über die Digitalisierung der Schulen. Wie sieht es eigentlich in der Praxis aus, nämlich dort, wo Ihre Politik ankommen soll? Die Landesregierung will mit der Novelle des Schulgesetzes die Laptops und Tablets nicht in den Katalog der Lernmittel aufnehmen. Damit machen Sie sich einen schlanken Fuß und übertragen die Verantwortung für die Beschaffung der notwendigen Geräte auf die Eltern. Das verschärft nicht nur die soziale Ungleichheit, sondern es steht auch im krassen Widerspruch zur Hessischen Verfassung.

(Beifall DIE LINKE)

Als LINKE haben wir den Anspruch, dass tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler mit guten digitalen Geräten ausgestattet werden. Wir wollen, dass das nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Wer so vorgeht und wer die Spaltung hinsichtlich der Digitalisierung so vorantreibt, der sollte weder von Digitalisierung noch von Bildungsgerechtigkeit reden.

(Beifall DIE LINKE)

Ich frage mich: Was sind denn Ihre Antworten und Ihre Strategie hinsichtlich des Fachkräftemangels? Soll das eine Doppelstunde Digitales im Bus für Digitales sein? Nein, da braucht es einen grundsätzlichen Wandel. Es braucht einen Paradigmenwechsel und nicht einen solchen Setzpunkt. Wenn wir die jungen Menschen für das Handwerk, für die sozialen Berufe und für die Arbeit in der Verwaltung begeistern wollen, müssen wir die Bedingungen ändern, die man heute vorfindet. Hier gilt das genauso wie in der Pflege: Applaus alleine hilft nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Junge Menschen fragen sich doch: Welche Perspektiven habe ich in meinem Job? Kann ich mit meinem Gehalt später auch eine Familie gründen? Schützt der Beruf, den ich möglicherweise ergreifen will, vor Altersarmut? Welche Anerkennung ist eigentlich mit diesem Beruf verbunden?

Als LINKE sagen wir ganz klar: Wir müssen die Bedingungen der Ausbildung verbessern, und zwar inhaltlich, atmosphärisch und auch finanziell. Wir müssen die personellen und materiellen Standards an den Berufsschulen verbessern. Wir brauchen mehr Förderung für die Wohnheime der Auszubildenden. Ja, wir brauchen auch eine bessere Bezahlung der Ausbildung. Denn, wenn die Betreuung pflegebedürftiger Menschen so viel schlechter als die Betreuung der Finanzen der Vermögenden bezahlt wird, läuft in diesem Land etwas grundlegend schief.

(Beifall DIE LINKE)

Aber all diesen Diskussionen verweigern Sie sich. Bestenfalls gibt es dann eine Doppelstunde Digitales als freiwilliges Zusatzangebot.

Wir können heute doch etwas sehr deutlich feststellen: Die digitale Kompetenz der meisten Schülerinnen und Schüler liegt schon heute weit über der der Mitglieder der CDU. Wenn es um die Digitalisierung geht, brauchen die jungen Menschen doch in ganz anderen Bereichen Unterstützung und Hilfe.

Da stellt sich die Frage: Wie führen die Handyverträge in die Schuldenfalle? Da stellt sich die Frage, warum die Bitcoins und die ETFs keine Alternative zu einer guten gesetzlichen Rentenversicherung sind. Da stellt sich die Frage, warum meine persönlichen Daten heute eine Währung in der digitalen Welt darstellen. Das sind doch die Fragen, die die Schülerinnen und Schüler heute umtreiben. Dazu kommt von Ihnen keine Antwort.

(Beifall DIE LINKE)

Stattdessen verweisen Sie auf den Schulversuch „Digitale Welt“ der Hasso Plattner Foundation. Da frage ich mich: Was kommt denn als Nächstes? Wird das Ernährungsberatung, präsentiert von Nestlé, sein? Die Schule ist eine staatliche Aufgabe. Wir sollten sie auch dort belassen.

(Beifall DIE LINKE)

Alles in allem ist das ein reiner Schaufensterantrag, in dem Sie weder die Probleme wirklich benennen noch Lösungen anbieten. Ja, in das Schaufenster stellen die Ladeninhaber ihre besten Waren, um die Kunden zu begeistern und zu einem Besuch ihres Geschäfts zu motivieren. Wenn dieser Entschließungsantrag zum heutigen Setzpunkt das Beste sein soll, was diese Landesregierung in Sachen Bildung zu bieten hat, dann wird auch klar, wie es im restlichen Laden aussieht. Man findet dort leere Regale, verstaubte Waren und ein Personal, das mit der Aufgabe überfordert ist.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Herr Felstehausen, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Frau Präsidentin, das komme ich gerne. – Dieser Setzpunkt ist sowohl ein bildungs- als auch ein digitalpolitischer Insolvenzantrag. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)