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Rede

Ulrich Wilken - Versammlungsrecht unter Druck: Entwurf zur Neuregelung zementiert Repression

Ulrich WilkenJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 118. Plenarsitzung am 15. November 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Neuregelung des Versammlungsrechts. Dazu die Rede unseres rechtspolitischen Sprechers Ulrich Wilken.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Das Land Hessen hat seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 das Recht und die Möglichkeit, ein neues, eigenes Versammlungsrecht zu schaffen. Die Möglichkeit, damit ein modernes Gesetz zu schaffen, haben Sie mit diesem Entwurf gründlich vergeigt. Wen wundert das bei diesem Innenminister?

(Beifall DIE LINKE)

Versammlungen, Demonstrationen und Kundgebungen sind wesentlicher Bestandteil einer lebendigen Demokratie – so weit waren sich auch alle Vorrednerinnen und Vorredner einig. Gesellschaftliche Veränderungen müssen allzu oft erkämpft und Erkämpftes verteidigt werden. Die Versammlungsfreiheit ist damit existenzieller Bestandteil einer aktiven Zivilgesellschaft. Um sich zusammenzuschließen, zu organisieren und öffentlich an der Regierung Kritik zu üben, sind die Gewährleistungen der Versammlungsfreiheit, aber auch deren Inanspruchnahme essenziell.

Trotz der Möglichkeiten der individuellen Meinungsäußerungen und Organisationen im Internet ist die Bedeutung von Versammlungen im öffentlichen Raum nach wie vor hoch. Protest muss auf die Straße getragen werden, um ihm den notwendigen Ausdruck zu verleihen. Neue Protestformen wie Clowns-Armeen oder Blockaden geben hierbei Raum für Kreativität.

(Beifall DIE LINKE)

Kooperation statt Konfrontation gehört seit der BrokdorfEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Postulaten der Sicherheitsbehörden. Praktisch gehört unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei gegen Demonstrantinnen und Demonstranten auch in Deutschland immer wieder zum Demonstrationsgeschehen dazu.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Dass es präventive Verbote ebenso gibt wie beschränkende Verfügungen, Anreisekontrollen, von Polizistinnen und Polizisten in voller Schutzmontur umrandete Demonstrationen und Polizeikessel, zeigt einen Teil des Repertoires an repressiven Reaktionen auf, die klar in einem Spannungsverhältnis mit der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit stehen.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Dann wurde die Corona-Pandemie dazu benutzt, um mit Hinweis auf den Gesundheitsschutz weitere repressive Maßnahmen zu verhängen oder gar Totalverbote von Versammlungen auszusprechen. Sicherlich war das in einigen Fällen auch gerechtfertigt, in vielen Fällen aber offensichtlich rechtswidrig.

Das alles zeigt, dass Versammlungen aus Sicht der Regierenden ein gefährliches Machtinstrument der Opposition sind und nicht lediglich ein Ventil für etwaigen Unmut.

(Alexander Bauer (CDU): So ein Quatsch! Das ist ein Grundrecht!)

Negativbeispiele zeigen, dass Minderheiten und Oppositionellen die öffentliche Artikulation ihrer Anliegen ohne größere Hürden ermöglicht werden muss. Hierfür braucht es ein modernes Versammlungsgesetz.

Es braucht ein Gesetz, das die Tendenz abbaut, dass erhebliche Asymmetrien zwischen den Grundrechtsträgerinnen und -trägern und den Behörden bestehen. Wir brauchen ein Gesetz, das für Bürgerinnen und Bürger klar verständlich regelt, was im Vorfeld und bei der Durchführung einer Versammlung erlaubt ist und was nicht, mit welchen polizeilichen Maßnahmen zu rechnen ist und wo die Grenzen der polizeilichen Eingriffsbefugnisse liegen. Wir brauchen ein Gesetz, das zum Versammeln einlädt, statt abzuschrecken.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn wir das als Kriterium ansetzen, haben wir hier leider einen Gesetzentwurf, der in der Gesamtschau ein negatives Bild von Versammlungen zeichnet und mit einer Unmenge unbestimmter Rechtsbegriffe Verbote, Durchsuchungen und Überwachungen regelt.

(Alexander Bauer (CDU): Was? – Lukas Schauder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch nicht einmal gelesen!)

Ein Beispiel: Die Möglichkeiten zur Videoüberwachung werden erheblich ausgeweitet. So sind explizit Übersichtsaufnahmen der Versammlungen erlaubt und werden nur von „Größe und Unübersichtlichkeit der Versammlung“ abhängig gemacht. Wie genau diese beiden Größen bestimmt sind, ist nicht geregelt. Das hängt also alleine von der Einsatzleitung ab.

(Alexander Bauer (CDU): Ist das schlimm?)

Selbstverständlich ist nachträglicher Rechtsschutz möglich, aber Drohnenaufnahmen schrecken potenzielle Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ab. Man bekommt doch sofort das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Das widerspricht ganz klar dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, welcher explizit ein versammlungsfreundliches Verhalten der Behörden fordert.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Volker Richter (AfD))

Zusammengefasst: Sie haben die Gelegenheit verpasst, ein modernes, bürgerfreundliches und für alle leicht verständliches Gesetz zu schaffen, das die Versammlungsfreiheit hochhält und Repressionen abbaut. Aber sicher war das auch gar nicht Ihr Ziel. – Danke sehr.

(Beifall DIE LINKE)