Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Verbandsklagerecht im Interesse der Tiere einführen

Barbara Cárdenas
Barbara CárdenasLandwirtschaft und Tierschutz

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident,
meine Damen und Herren!

Seit dreizehn Jahren steht der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz. Die Situation für die Tiere hat sich seit dem nicht verbessert, im Gegenteil.

Woran liegt das? Geht es in einem Gesetz um den Schutz der Schwächeren steht und fällt die Umsetzung der für sie geschaffenen Schutznormen mit ihrer gerichtlichen Absicherung.

Sie alle kennen Berichte über das Grauen in der Massentierhaltung. Die meisten Menschen verschließen davor ihre Augen, schalten den Fernseher ab oder auf ein anderes Programm um. Das ist das bequemste. Die Bilder von verletzten Tieren, die Bilder von Tieren, die noch leben, während sie zerteilt werden, sind ja auch nur schwer zu ertragen. Wir, die Politikerinnen und Politiker, tragen aber die Verantwortung für diese Quälerei. Wenn wir diese Bilder nicht ertragen wollen, müssen wir die richtigen Gesetze machen. So einfach ist das.

Der Zweck des Tierschutzgesetzes besteht darin, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden schützen. Es weist damit auf den Wert der Tiere, auf deren ethisch begründeten Schutz hin. Dieser Leitgedanke fordert von uns allen die treuhänderische Wahrnehmung der Interessen der Tiere, sonst läuft er ins Leere.

Nach dem  Tierschutzgesetz sind Tierhalter und Tierbetreuer verpflichtet, Tieren die Ausübung artgemäßer und verhaltensbedingter Grundbedürfnisse zu ermöglichen, also das eigene Tun an den Interessen der Tiere zu orientieren. Aber wenn der Tierhalter starke wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgt, fehlt es praktisch allzu oft an dieser Orientierung. Dieser Schutzgedanke steht nämlich in einem Konflikt mit den wirtschaftlichen Interessen der Tiernutzer. Dieser schwerwiegende Konflikt kann aber zur Zeit nicht vor Gericht abwägend ausgetragen werden und wird daher automatisch zu Ungunsten der Tiere entschieden. Der Grund liegt zum einen in dem hohen Wert, der den wirtschaftlichen Interessen von im Wettbewerb stehenden Unternehmen gegenüber dem Tierschutz eingeräumt wird, und zweitens darin, dass es bisher nur wenig konkrete rechtliche Vorschriften für die Mindestanforderungen an die Haltung einzelner Tiere gibt. Damit haben die auch die Behörden nur zu vage rechtliche Vorgaben, die sie durchsetzen können.

Und während die Tiernutzer ein unbegrenztes Klagerecht gegen behördliche Verfügungen haben, wurde den gequälten Tieren oder ihren treuhänderischen Vertretern bisher kein Klagerecht zugesprochen für den Fall, dass die Behörden nicht in ausreichendem Maß tätig werden. Wo kein Kläger, da kein Richter. Ein Verbandsklagerecht würde hier endlich ein Gleichgewicht herstellen.

Ein weiteres Beispiel:
Trotz der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz besteht nach wie vor keinerlei Möglichkeit, selbst grausamste und sinnloseste Tierversuche von Gerichten überprüfen und und unterbinden zu lassen. Und das trotz grüner Mitverantwortung in der Landesregierung!

Die hessischen Bürgerinnen und Bürger haben aber ein Interesse daran, dass der Tierschutz effektiv und ordentlich in die Praxis umgesetzt wird.

Jetzt gibt es Stimmen, die sagen: Wir haben doch die Behörden, die diese Aufgaben sachgerecht wahrnehmen. Da brauchen wir kein Verbandsklagerecht. Die Exekutivorgane sind aber Irrtümern und widersprüchlichen Interessen ausgesetzt. Sie sind weisungsabhängig und insoweit nicht ausnahmslos als unabhängige Treuhänder der Tiere zu sehen. Sie sind deshalb häufig geradezu darauf angewiesen, eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung – wie sie durch das Verbandsklagerecht herbeigeführt werden könnte – zu erhalten, um ihrer Pflicht der Gesetzesanwendung im konkreten Einzelfall und notfalls auch gegen die Bedenken von Vorgesetzten oder gegen massiven Druck durch Tiernutzer nachkommen zu können.

Diese offensichtlichen Konflikte sind in ein widersprüchliches Verhältnis des modernen Menschen zum Tier eingebettet, das in besonders auffälliger Weise von Widersprüchen geprägt ist:

Einerseits sind die Tiere und ihre Lebensbedingungen im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung überhaupt nicht sichtbar. Die so genannten Nutztiere verbringen ihr Dasein abgeschottet in großen Produktions- Anlagen. Das schützt den Menschen vor Lärmbelästigungen. Das Brüllen und die Schreie der Tiere, etwa vor und bei ihrer Schlachtung ist an die Peripherie städtischer Gebiete und in geschlossene Hallen verlegt worden.

Gleiches gilt für Tierversuchsanlagen.

Zugleich sind einige Tiere die Mitbewohner des Menschen – Hund und Katze zum Beispiel. Wir kommunizieren mit dem Haustier auf der Du-Ebene, wir teilen mit ihm Leid und Freude. Diese persönliche Erfahrung kennen wir alle.

Während in der Maschinerie der Agrarindustrie und in Tierversuchslaboren das Tier zu einem anonymen, empfindungslosen Sachobjekt degradiert wird, wird dem Haustier in der Nähe des Menschen nicht selten der Rang eines echten Familienmitglieds eingeräumt, das ganz besondere Anteilnahme genießt.

In den westlichen Gesellschaften besteht mittlerweile aber zunehmend der Konsens, dass sich eine zivilisierte Gesellschaft nicht länger über die Leidensfähigkeit der Tiere hinwegsetzen und erst recht nicht ihr Leid fördern darf. Bestätigung erhält dieser Ansatz durch die  sich herausbildende Anerkennung der Schutzwürdigkeit der Tiere wird durch zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse über die hohe Intelligenz und Lernfähigkeit der unterschiedlichsten Tiere.

Betrachten wir diese sehr gegensätzlichen Ströme wird klar:  Es kann nicht länger als rechtsverträglich gelten, dass wir willkürlich ausgewählten Einzeltieren ein dem Menschen ähnliches Empfindungsvermögen zusprechen, anderen, ihnen gleichen oder vergleichbaren Tieren, etwa im Bereich der Nutz- und Versuchstiere, lediglich einen theoretischen, aber keinerlei praktischen Schutz gewähren, weil jede unabhängige Kontroll- und Klagemöglichkeit fehlt. Denn ein zwar vom Tierschutzgesetz gewährter, aber gerichtlich nicht durchsetzbarer Schutz ist überhaupt nichts wert.