Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Vorratsdatenspeicherung: "Rechte Hessischer Bürgerinnen und Bürger schützen!"

Hermann Schaus

Zum Antrag Fraktion DIE LINKE betreffend "Wortbruch durch Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung verhindern..."

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend "Wortbruch durch Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung verhindern – Rechte Hessischer Bürgerinnen und Bürger schützen!":

 

Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Die Telekommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger, also wer telefoniert wann, wie lang, mit wem und wer hat wann, von wo auf welche Internetseiten zugegriffen und wer hat wem welche Emails geschickt... All das soll laut europäischer Richtlinie aufgezeichnet werden. Und zwar ohne, dass es gegen die betroffenen Menschen den geringsten Verdacht gibt.

Meine Damen und Herren, DIE LINKE lehnt diesen Generalverdacht gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern entschieden ab und bezeichnet ihn als nicht hinnehmbaren Angriff auf die Bürger- und Freiheitsrechte. Und wir stehen mit unserer Kritik nicht alleine da. Bürgerrechtsorganisationen, Datenschutzbeauftragte, Verfassungsgerichte und ganze EU-Mitgliedstaaten weigern sich eine Richtlinie umzusetzen, die in eklatanter Weise gegen die europäische Menschenrechtskonvention und das Verfassungsrecht verstößt.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages legte bereits 2006 eine Stellungnahme vor, aus der ich folgendes zitieren möchte: "Es bestehen Bedenken, ob die Richtlinie in der beschlossenen Form mit dem Europarecht vereinbar ist. Dies betrifft zum einen die Wahl der Rechtsgrundlage, zum anderen die Vereinbarkeit mit den im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechten."

Auch Verfassungsgerichte haben die Umsetzung zur Vorratsdatenspeicherung gestoppt. Irland zieht erneut vor den europäischen Gerichtshof. Aber die Kommission überzieht Staaten, die die Ratifizierung verweigern, mit Vertragsverletzungsverfahren.

Das alles bildet den Hintergrund unserer Debatte.

Aber Anlass unseres Antrages sind die jüngsten Aussagen des Herrn Innenministers Rhein zu Beginn diesen Jahres über die zwingende Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung. Herr Rhein, gleich bei der Übernahme ihres Amtes als Vorsitzender der Innenministerkonferenz haben Sie wieder einmal einen ihrer propagandistischen Paukenschläge gelandet.

Wir kennen dies ja schon von ihrem Amtsantritt als Minister im letzten Jahr, als sie verkündeten Die LINKE nun noch stärker überwachen zu lassen und auf kritische Nachfragen der Presse zu Anlass und Notwendigkeit still und leise zurückrudern mussten.

Also wieder ein neues Amt, wieder markige Sprüche dachte ich zunächst – aber das wäre wohl doch eine kurze Erklärung für ihr Verhalten und so begab ich mich auf Begründungsspurensuche. Und tatsächlich bin ich fündig geworden als ich las, dass die Verleihung der Big-Brother-Awards wieder ansteht.

Dieser "Oscar für Datenkraken" wird nämlich am 01. April bereits zum 11. Mal vergeben. 'Ausgezeichnet' werden Politiker, Firmen und Organisationen, die besonders unverantwortlich mit den Daten anderer und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger umgehen. Und den wollen sie doch wohl gewinnen.

Herr Minister, ich sage Ihnen hiermit zu, dass wir sie umgehend vorschlagen werden. Denn wer wie Sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einer umfassenden, in unseren Augen anlassunabhängigen Vorratsdatenspeicherung weiterhin das Wort redet, und dafür finsterste Verbrechensszenarien entwickelt, der hat wahrlich diesen besonderen Preis verdient.

Meine Damen und Herren ich darf in Erinnerung rufen, dass in Deutschland die politische Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung schon lange ein großes Thema ist. Denn nachdem CDU und SPD im Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung 2007 verabschiedeten, regte sich immenser Protest.

In einem in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Verfahren klagten knapp 35.000 Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Klagen wurden von zahlreichen Verbänden und Gruppen, wie dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Gewerkschaft ver.di, und auch zahlreichen FDP-Politikern - unter ihnen Burkhard Hirsch und die heutige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger - eingereicht.

Das Verfahren wurde begleitet von zahlreichen Protestkundgebungen in ganz Deutschland, die unter dem Motto "Freiheit statt Angst" und der Beteiligung von über Einhunderttausend Bürgerinnen und Bürgern stattfanden.

Mit Urteil vom 2. März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht die konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes schließlich für verfassungswidrig. Gespeicherte Daten mussten umgehend gelöscht und jede weiteren Speicherungen umgehend unterbunden werden.

Das war ein riesiger Erfolg für die Bürgerinnen und Bürger und für die Freiheitsrechte in unserem Land.

Mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen und eine mögliche Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP bekräftigte die FDP deshalb ihre ablehnende Haltung zur Vorratsdatenspeicherung in ihrem Wahlprogramm: "Wir lehnen die verdachts- und anlassunabhängige Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat ab."

Entgegen ihrer vorherigen Überzeugung hat jüngst die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nun doch auf Druck von CDU und CSU ein "Eckpunktepapier" vorgelegt, nach welchem künftig sämtliche Verbindungen sämtlicher Internetnutzer auf Vorrat gespeichert werden sollen.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der seinerzeit gemeinsam mit der FDP vor dem Bundesverfassungsgericht gezogen ist, konstatiert zu diesem Eckpunktepapier: "Zulässig wäre demnach ein präventiver Datenzugriff ohne Tatverdacht, Zugriffe durch Geheimdienste (§ 113 TKG) und eine Namhaftmachung gegenüber Abmahnanwälten (§ 101 UrhG). Selbst an 29 ausländische Staaten einschließlich der USA wären die Daten auf Anfrage herauszugeben."

Das Ganze geht der Union natürlich trotzdem nicht weit genug. Bürgerrechte hin, Verfassungsgericht her: Die Union will die Vorratsdatenspeicherung um jeden Preis wieder einführen, flächendeckend, mit möglichst langen Speicherfristen und ohne Anlassbezogenheit. Der innenpolitische Hardliner der Unions-Fraktion, Hans-Peter Uhl von der CSU wurde deshalb losgeschickt, um Stimmung zu machen. Er wirft Frau Leutheusser-Schnarrenberger vor, den "Boden des EU-Rechts" verlassen zu haben.

Ganz im Stil seines Vorgängers zeigt sich auch der neue Hessische Innenminister Boris Rhein. Das bedeutet für alle Hessen: Die automatisierte Kennzeichenerfassung ist schon wieder da und die Vorratsdatenspeicherung als zentrale sicherheitspolitische Projekte sollen durchgeboxt werden. Alles soll natürlich nur anlassbezogen durchgeführt werden. Aber dies ist keine wirksame Hürde, denn einen Anlass, den wird man sicherlich immer finden können.

Als frisch gebackener Vorsitzender der Innenministerkonferenz keilte dann Herr Rhein in der SZ gleich mal gegen die Bundesjustizministerin los. Sie solle die europäischen Vorgaben umsetzen statt "kostbare Aufklärungszeit verstreichen zu lassen um ungeeignete Vorschläge zu unterbreiten."

Und Herr Greilich, auch wenn es sie vielleicht verwundern mag: Ich schätze Frau Leutheusser-Schnarrenberger als eine der letzten Vertreterinnen des inzwischen bedeutungslos gewordenen Bürgerrechtsflügels der FDP.

Sie hat schon einmal ihr Ministeramt niedergelegt, weil sie die Beschlüsse zum Großen Lauschangriff nicht gegen die eigene Überzeugung mittragen konnte. Das verdient hohen Respekt und sie hat im Nachhinein Recht behalten. Wenn man allerdings die damalige Begründung der FDP-Klage zur Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht nimmt und sie neben das von der FDP als Kompromiss nun vorgelegte Papier zur Vorratsdatenspeicherung legt, dann kann man dies schon jetzt nur als vollkommen unvereinbar bezeichnen.

Die Befürworter dieser Flächenüberwachung, die nicht nur in den Landesinnenministerien sitzen sondern auch bei der EU- Kommission behaupten zwar, sie sei zur Bekämpfung der Kriminalität dringend notwendig. Es drohe mindestens der Weltuntergang, wenn Terroristen, Kriminelle und Schieber nicht durch flächendeckende Überwachung der Telekommunikation bekämpft werden könnten.

Aber: Den Nachweis dafür sind sie uns bis heute schuldig geblieben.

Ich zitiere den wissenschaftlichen Dienst der Max-Plack-Gesellschaft vom 27. Januar 2011: "An sich hätte die EU-Kommission Anfang September eine Evaluation vorlegen müssen, wie häufig bei Ermittlungen auf Vorratsdaten zurückgegriffen wurde. Die liegt aber nicht vor, weil die Mitgliedsländer die Daten nicht haben." Die Befürworter behaupten aber weiterhin wir brauchen das unbedingt zur Kriminalitätsbekämpfung, aber können nicht belegen, ob dies notwendig ist und funktioniert.

Im Gegenteil: Die Forscher des Max-Planck Instituts haben noch vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, an einer Studie zur Überwachung der Verkehrsdaten teilgenommen. Das ist die bislang einzig bekannte Untersuchung aus 2008. Sie kommen dort zu dem ernüchternden Befund: "Es ist wenig wahrscheinlich, dass dieses Instrument in der Praxis Einsatz bei der Terrorfahndung findet."

Es ist nicht verhältnismäßig, die Telekommunikation von 80 Millionen Menschen aufzuzeichnen, wenn der Erfolg der Bekämpfung schwerster Kriminalität damit nicht einmal größer wird.

Herr Minister Rhein, da Sie gleich noch Gelegenheit haben dazu zu sprechen: Ersparen Sie uns bitte Aussagen, in der Art wir stünden kurz vor dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung oder so, sondern legen Sie bitte endlich mal Zahlen und Fakten vor die beweisen, dass die Vorratsdatenspeicherung einen wirklichen Nutzen bringt.

Wir jedenfalls lehnen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung strikt ab. Und dies sogar mit den Worten des Herrn Abgeordneten Greilich, der jüngst in einer Presserklärung sagte: „Die Wiedereinführung der von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärten Vorratsdatenspeicherung wird es mit uns nicht geben."

Schauen wir mal!