Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Wir werden noch einige Zeit brauchen, bis in der Polizei wieder ein betrieblicher Normalzustand einkehrt"

Hermann Schaus

Rede zum Gesetzentwurf der SPD betreffend Landesbeauftragte oder Landesbeauftragter für die hessische Polizei beim Hessischen Landtag

 

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine verehrten Damen und Herren,

eine Redewendung sagt „lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“. Hätte die Landesregierung und die CDU und FDP Fraktionen sich diese einfache Weisheit zu Eigen gemacht, wäre uns Abgeordneten, der Öffentlichkeit, der Hessischen Polizei und nicht zuletzt den Betroffenen vieles erspart geblieben. Auch sie hatten in den vergangen Monaten und Jahren genug Hinweise, dass es in der Hessischen Polizei heftig rumort.

Stattdessen haben sie Probleme ignoriert, geleugnet, heruntergespielt und noch schlimmer, sie haben diejenigen öffentlich beschimpft, die auf Probleme in der Polizei hingewiesen haben. Ich sage deshalb ihnen, Herr Bouffier, als langjährigem Innenminister: Wo Kritik als Feindschaft empfunden wird, hat Führung versagt. Nicht Kritik ist das Problem, sondern ihr Versagen damit umzugehen.

Weil ihr Führungsstil und das von ihnen eingesetzte Führungspersonal Teil des Problems und nicht der Lösung ist, haben sich mehr und mehr Polizistinnen und Polizisten verzweifelt an andere gewandt: An die Fraktionen im Landtag, an die Presse, an die Öffentlichkeit und an die Staatsanwaltschaft und Gerichte.

Und deshalb haben sie und niemand anders es zu verantworten, dass die Hessische Polizei seit Monaten nicht aus den Schlagzeilen kommt:

Spiegel-online titelt am 03. Novemeber: „Hessischer Intrigantenstadl“ um „offenbar manipulierte Akten“. Die Frankfurt Neue Presse berichtet am 08. November über „Böswillige Strafversetzungen, geheime Personalakten, willkürliche Suspendierungen und Verfolgung Unschuldiger“ und spricht von einem „Willkür-Regime“. Die FAZ sagt am 10. November: „Die Affäre droht, das Grundvertrauen in die Solidität der Polizei zu erschüttern“. Die HNA spricht am 13. November von „übler Nachrede, Verleumdung und Rufmord“ im PP Frankfurt
Die Oberhessische Presse befindet am 13. November „Landespolizeipräsident Nedela“, der „den Polizeiapparat zu einem Schreckensregime umgestaltete“. Und die Fuldaer Zeitung fasst am 12.11. zusammen: „Die Führung der hessischen Polizei präsentiert sich irgendwo zwischen Mafia und kleinkariertem Intrigantenstadel. (…) Der Fisch stinkt vom Kopfe her, und der war als Innenminister lange Jahre Bouffier. Sein offensichtlich durch Manipulation gesteuertes System brach ohne ihn zusammen.“

So könnte ich bis morgen fortfahren. Ich teile sicher nicht alles, was in der Presse veröffentlicht wird. Vor allem – und das ist mir sehr wichtig -  geht es nicht um das Versagen von Polizistinnen und Polizisten. Denn die machen unter schlechten Bedingungen einen schwierigen Job.

Es geht hier um das Versagen des Ministers, seines Staatssekretärs und ihrer leitenden Beamten, die die Hessische Polizei in ein derartiges Fahrwasser gebracht haben.

Herr Ministerpräsident, wenn ihr Nachfolger sich nun scheibchenweise von dem von ihnen eingesetzten Personal und Führungsstil absetzt und zaghaft Forderungen der Opposition aufgreift, dann begrüßen wir das zwar ausdrücklich. Aber es zeigt doch sehr deutlich, wo die Probleme liegen: Nicht in der Opposition, nicht in Einzelfällen, sondern in ihrem autoritär-dirigistischem Erbe, dass ihrem Nachfolger nun um die Ohren fliegt.

Beim Land Hessen sind im System Koch-Bouffier harte Zeiten angebrochen: Enorme Arbeitsverdichtung und Belastung, hoher Druck, Personalmangel und Stellenabbau. Wer da nicht mitkann oder sich nicht anpasst, der droht aufgerieben zu werden. Als 2009 zahlreiche Berichte über Mobbing und weitere schwere Vorwürfe an uns heran getragen wurden, stellte DIE LINKE im September den Berichtsantrag „Mobbingfälle in der hessischen Polizei – Aufklärung statt Abwiegelung“. Ich bin im Nachhinein froh, dass ich bei der Beantwortung des Antrags am 11. Februar 2010 im Innenausschuss die Herstellung der Öffentlichkeit verlangt habe, so dass ich nun zitieren darf.

Herr Bouffier, sie meinten damals, dass intern alles hervorragend funktioniere und warfen mir vor, eine schmutzige Medienkampagne zu betreiben. Sie sagten wörtlich, im Protokoll nachzulesen auf Seite 12: „Nicht in einem einzigen Fall bin ich jemals darauf angesprochen worden.“ Ich konkretisierte, dass aber immer mehr Fälle in der Öffentlichkeit auftauchten und sich weitere direkt an die Fraktionen gewandt hätten. Herr Greilich warf mir deshalb „Rufmord an der Hessischen Polizei“ vor, Seite 19 des Protokolls.

Worauf Sie, Herr Bouffier, zu den Mobbingvorwürfen sagten: „Das weise ich in aller Form zurück. Das ist nicht nur blöd. Das ist auch ehrenrührig. Es ist doch völlig klar, hier geht es darum, der Regierung einen anzuhängen.“ Ebenfalls S. 19. Ich endete dann mit folgender Bemerkung, S. 23 des Protokolls: „Sie sind offensichtlich nicht bereit, warum auch immer, sich bestimmten Fragen zu nähern, wie die Situation zu verbessern ist. Ich denke, dass der Polizeidienst nicht mit anderen vergleichbar ist, sondern durchaus einer ist, der in besonderer Art und Weise unserer Aufmerksamkeit bedarf. Deswegen fände ich es gut, einmal darüber nachzudenken, eine unabhängige Anlaufstelle zu schaffen, die unabhängig von dem System der sozialen Ansprechpartnern ist, das Sie beschrieben haben.“

Ich habe dann Mitte Februar erstmals einen Ombudsmann vorgeschlagen. Die SPD hat dankenswerter Weise im April einen Gesetzentwurf mit ähnlicher Intention in den Landtag eingebracht. Reaktion der Regierung und CDU-FDP Fraktionen? Unfug, Hetze, Rufmord.

Und heute? Der Landespolizeipräsident ist abberufen, die Leiterin des LKA umgesetzt, die Besetzung des Präsidenten der Bereitschaftspolizei Gegenstand eines Untersuchungsausschusses und nahezu täglich hören wir neue Berichte zu Vorwürfen aus der Polizei, aus der Presse, aus Gerichtsverhandlungen und von Staatsanwaltschaften. Und Ende letzter Woche vermerkt Ministerpräsident Bouffier in der FAZ zu den Vorgängen plötzlich: „Die Entwicklungen der vergangenen Monate haben mich eines besseren belehrt, und wenn die Berufung eines Ombudsmannes vertrauensbildend wirkt, dann sollte man das tun.“

Das ist wirklich toll! Kaum ist ein Jahr vergangen, in dem sie nichts gemacht haben, als die Opposition zu beschimpfen, da kommt auch schon die Rolle rückwärts und sie meinen, ach ja, wäre ja doch ne prima Sache. Herr Ministerpräsident: Ich denke es ist eine Frage des politischen Anstands, dass sie sich hier und heute ans Pult stellen, sich zu ihrer Verantwortung bekennen und sich bei denen entschuldigen, die sie öffentlich diskreditiert haben.

Von den Regierungsfraktionen würde ich mir wünschen, dass sie etwas nachdenklicher werden über die Frage, ob es nicht nur die Aufgabe der Opposition ist, Regierungshandeln kritisch zu hinterfragen, sondern die Aufgabe des ganzen Hauses. So verlangt es die Gewaltenteilung.

In diesem Sinne bitte ich zuletzt um Zustimmung des Landtags zu unserem Antrag, damit wir nun endlich vorwärts kommen. Denn bei allem Respekt vor dem neuen Innenminister: Herr Rhein wird sich nur soweit zum Aufräumen durchringen, wie er damit sich selbst und seinem Vorgänger Bouffier ein nicht noch schlechteres Zeugnis ausstellt.

Unser Antrag fasst deshalb zusammen, was in der Anhörung von den Sachverständigen für einen Ansprechpartner der Polizistinnen und Polizisten verlangt wurde: Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, eine angemessene Ausstattung mit Mitteln und Befugnissen und die Verbesserung der Strukturen zur Arbeit der Personalräte.

Denn, Herr Rhein, Bleistift hin oder her. Kein Sachverständiger hat sich dafür ausgesprochen, die Stelle im Ministerium anzusiedeln, ihnen direkt zu unterstellen und nur ihnen Bericht zu erstatten. Das hat mit Unabhängigkeit nichts zu tun.

Ich denke, wir werden noch einige Zeit brauchen, bis in der Polizei wieder ein betrieblicher Normalzustand einkehrt. Das wir alle daran arbeiten müssten, ist noch nicht bei allen angekommen. Unser Antrag und seine Umsetzung wäre ein notwendiger Schritt dazu.